27.10.2016
 4 Minuten

Finissage: Was ist das und ist es wichtig?

Von Robert-Jan Broer
Patek Philipe Chronograph

Mal angenommen, Sie beschäftigen sich erst seit Kurzem mit mechanischen bzw. wertvollen Uhren. Dann sind Sie bei Ihren Recherchen zu diversen (Lieblings-)Stücken sicher über den Begriff „Finissage“ gestolpert. Doch was heißt das eigentlich? Beeinflusst sie die Funktionsweise der Uhr? Was ist der Unterschied zwischen von Hand und maschinell finissierten Uhren?

Worum geht es?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir zuerst erklären, worum es bei der „Finissage“ geht. In der Uhrmacherei wird die Verzierung und Veredelung des Uhrwerks als Finissage bezeichnet. Sie kann von einfachen, maschinell angefertigten Gravuren, z. B. auf dem Rotor, bis hin zu handgravierten Unruhkloben reichen.

Die meisten mechanischen Werke sind in irgendeiner Weise verziert bzw. finissiert. Manchmal ist nur der Rotor graviert, bei anderen sind nur die sichtbaren Teile wunderschön gestaltet und wieder andere sind komplett handveredelt, selbst die Teile, die nicht durch einen Glasboden zu sehen sind.

Uhrwerk der Lange & Söhne Lange 1 Timezone
Lange & Söhne ist berühmt für beeindruckend finissierte Uhrwerke, Bild: © Bert Buijsrogge

Wussten Sie, dass das Anglieren (Abschrägen und Polieren) der Brücken von Hand bis zu zwei Stunden dauern kann? Und das pro (kleiner) Brücke! Das hat immense Auswirkungen auf den Preis einer Uhr, besonders, wenn das gesamte oder der Großteil des Werks von Hand nachbearbeitet wurde. So weit gehen jedoch nur wenige Marken. Als unumstrittener König handfinissierter Uhrwerke gilt der Meisteruhrmacher Philippe Dufour.

Handverzierte Uhren finden sich vor allem in den Kollektionen unabhängiger Uhrenhersteller und einiger weniger Premiummarken, die zu großen Konzernen gehören (A. Lange & Söhne und Breguet zum Beispiel).

Rolex, Jaeger-LeCoultre, Philippe Dufour – allesamt verschieden

Hat aber auch Ihre Uhr mit einem Standardwerk von ETA oder Sellita (o. ä.) eine Finissage? Das hängt natürlich von der Marke ab, die es verbaut hat. Viele Marken bearbeiten solche Werke tatsächlich nach. Das Gleiche gilt für die hauseigenen Kaliber von Rolex, Omega, Breitling, IWC usw., die alle bis zu einem gewissen Grad verziert sind. Meist beschränkt sich das aber auf die Teile, die durch den Glasboden sichtbar sind. Gängige Formen der Finissage sind Genfer Streifen, Perlschliff, gebläute Schrauben und vielleicht ein skelettierter oder gravierter Rotor.

Hat das Werk Ihrer Uhr für unter 1.000 Euro eine Finissage? Wahrscheinlich nicht, aber einen nachbearbeiteten Rotor könnte sie haben. Bei etwas teureren Uhren nimmt der Uhrwerkszulieferer häufig ein Minimum an Finissage mittels moderner (CNC-)Maschinen vor. ETA-Werke können beispielsweise in verschiedenen „Kategorien“ oder Bearbeitungsgraden bestellt werden.

Sinn 903 mit ETA-basiertem Uhrwerk
Sinn 903 mit ETA-basiertem Uhrwerk, Bild: © Bert Buijsrogge

Jetzt verstehen Sie vielleicht, was die Werke von Vacheron Constantin, Audemars Piguet und Patek Philippe von denen von etwa Rolex, Omega, Breitling oder Panerai unterscheidet. Diese Werke erhalten eine aufwendige Finissage, die teilweise von Hand ausgeführt wird. Das wirkt sich auf den Preis dieser Uhren aus und man muss letztlich selbst wissen, ob einem die Handwerkskunst die Spitzenpreise dieser Marken wert ist.

Die Werke von Premiummarken der Haute Horlogerie, wie Philippe Dufour, Grönefeld, Credor (Seiko), Kari Voutilainen, Laurent Ferrier, aber auch gängigere Marken wie Patek Philippe, Audemars Piguet und A. Lange & Söhne, werden (teilweise) von Hand veredelt. Das macht die Uhr nicht besser, was die Funktionalität oder Komplexität anbelangt, aber es zeigt, wie viel Zeit und Mühe in die (manuelle) Fertigung dieser Werke investiert wird.

Je länger Sie sich mit mechanischen oder Luxusuhren befassen, umso mehr werden Sie echte Handarbeit schätzen lernen. Es bedarf eines gewissen Verständnisses, um voll und ganz zu begreifen, wie viel Können in dieser anspruchsvollen Feinarbeit steckt.

Parmigiani Fleurier Tonda 1950
Parmigiani Fleurier Tonda 1950, Bild: © Bert Buijsrogge

Techniken

Nun da Sie wissen, warum manche Marken allein aufgrund der (Hand-)Finissage höhere Preise verlangen als andere, wollen wir uns ein paar Techniken ansehen.

(Hand-)Gravur: Das mag einfach klingen, ist es aber nicht. Eine Gravur ist eine Verzierung, die entweder manuell oder maschinell als Relief oder durch Abtragen ausgeführt wird. Sie erfordert Geduld und ein ruhiges Händchen sowie fundierte Kenntnisse zu Zeichentechniken und Werkstoffen.

Genfer Streifen: Eine der berühmtesten Veredelungstechniken für Uhren, neben der Gravur, sind vermutlich Genfer Streifen oder Côtes de Genève. Diese gleichmäßigen, parallelen, wellenförmigen Linien werden meist auf sichtbare Oberflächen von Brücken und Kloben aufgebracht und müssen absolut perfekt sein. Angeblich sollen sie dazu dienen, Staub aufzufangen, doch viele Uhrmacher sagen, dass das bei den heutigen Uhren Unsinn ist.

Perlage (oder Perlschliff): Die Perlage ist eine Verzierung aus kleinen überlappenden Kreisen auf einer Werkplatte. Der Perlschliff ist ein recht kostenintensives Verfahren, da Perliermaschinen nach wie vor sehr selten und teuer sind und folglich von qualifizierten Handwerkern bedient werden müssen.

MB&F LM1 Uhrwerk
MB&F LM 1 Uhrwerk mit Finissage von Kari Voutilainen, Image: © Bert Buijsrogge

Anglage: Dies ist eines der schwierigsten und aufwendigsten Verfahren bei der Finissage eines Uhrwerks. Wie bereits erwähnt gilt Philippe Dufour als unangefochtener Meister dieser Technik. Sie ist sehr zeitaufwendig und erfordert ein hohes Maß an Erfahrung. Bei der Anglierung werden (in den meisten Fällen) die Kanten der Brücken abgetragen. So entsteht ein 45-Grad-Winkel zwischen Oberfläche und Flanke. Es gibt verschiedene Varianten der manuellen Anglierung, doch alle umfassen den Gebrauch von Handwerkzeugen mit dem richtigen Druck und das anschließende Polieren für den richtigen Glanz.

Gebläute Schrauben: Diese sehen nicht nur hübsch aus, durch das Bläuen werden die Schrauben auch härter und vor Beschädigungen, etwa durch einen Schraubendreher, geschützt. Die Schrauben müssen dazu für bestimmte Zeit auf eine präzise Temperatur erhitzt werden.

Für die Marken mag es wichtig sein, aber auch für Sie?

Die eben beschriebenen Verfahren sind nur ein paar Beispiele für die Finissage. Bedenken Sie, dass auch das Design und die Konstruktion, einschließlich der verwendeten Materialien (wie z. B. Neusilber und die von Glashütte verbauten ¾-Platinen) eines Werks Einfluss auf dessen Optik haben. Wenn ein Uhrenhersteller beschließt, seine Rubine in Goldchatons zu fassen, zeigt das auch eine bestimmte Haltung zur Bedeutung der Uhrwerksveredelung.

Ist Ihnen die Finissage wichtig? Diese Frage könnten Sie sich beim nächsten Uhrenkauf stellen. Die Uhrenhersteller erwähnen die Finissage und Bearbeitung oft auf ihren Webseiten, wenn sie dabei einen größeren Aufwand betrieben haben. Auf jeden Fall ist es etwas, worauf man stolz sein kann, wie dieser Artikel zeigt.

H. Moser Cie Endeavour Centre Seconds
H. Moser Cie Endeavour Centre Seconds, Bild: © Bert Buijsrogge

Über den Autor

Robert-Jan Broer

Robert-Jan ist Gründer des Fratello Magazine und schreibt dort seit 2004 über Uhren. Seine Leidenschaft für Uhren entdeckte er allerdings schon viel früher. Für …

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