22.02.2017
 3 Minuten

Russische Uhren

Von Isaac Wingold
Poljot Chronograph
Poljot Chronograph

Es scheint, als sei den Menschen der Glaube in die Wiege gelegt, gute Uhren müssten aus der Schweiz kommen. Aber Vorlieben ändern sich und die Neugier bringt Sammler dazu, sich auf der Suche nach ihrem Luxusuhren-Glück auch mal woanders umzusehen. So erhalten auch die deutsche Region Sachsen, Japan oder sogar Russland mittlerweile mehr Aufmerksamkeit. Sicher ist die russische Uhrenindustrie nicht da, wo die Schweizer heute steht, jedoch haben die Russen in der Geschichte eine große Anzahl unterschiedlicher Uhren hergestellt – viele von ihnen spielen eine wichtige Rolle in der russischen Geschichte. Doch fangen wir am Anfang an und werfen einen Blick auf die Uhrmacherei in der Sowjetunion.

Uhren der Sowjetunion

H. Moser & Cie Taschenuhr
H. Moser & Cie Taschenuhr, Bild: Auctionata

Lenin führte im Jahr 1917 die Bolschewiki in die Oktoberrevolution. Im Anschluss gab es das Bemühen, zum einen die sowjetische Uhrenindustrie anzukurbeln und zum anderen die Menschen mit ausreichend Uhren zu versorgen. Ein Konglomerat aus Betrieben unter dem Namen „Gostrest Tochmekh” („Staatlicher Verbund für Präzision und Mechanik”) importierte vornehmlich Schweizer Uhren, Werke und Komponenten. Diese wurden dann in russichen Werken fertiggestellt und in Gehäuse eingeschalt. Der Uhrenverband, zu dem auch H. Moser & Cie in St. Petersburg gehörte, führte hauptsächlich Rohteile ein. Damit umging man die hohen Zölle auf Schweizer Uhren, die den Gewinn deutlich gemindert hätten.

Von vielen wird dies als Geburtsstunde der Russischen Uhrenindustrie gesehen. Die Regierung unterstützte das Vorhaben, diesen Industriebereich weiter auszubauen, da sie Chancen für die gesamte sowjetische Wirtschaft sah. Kurz darauf gab es einen interessanten Handel zwischen einem russischen Uhrenhändler und der kurz zuvor konkurs gegangenen Dueber-Hampden Watch Company aus Ohio. Der Deal ermöglichte, Werkzeuge und Maschinen zur Produktion von Uhrwerken zu übernehmen. Diese Akquisition führte zur Gründung der ersten Moskauer Uhrenfabrik, aus der viele spätere russische Uhrenmarken hervorgingen. Zudem sah die Vereinbarung vor, dass Uhrmacher von Dueber-Hampden für ein Jahr angeheuert wurden, um Uhrmacher vor Ort auszubilden.

Uhren für den Wettlauf zum Mond

Vostok
Vostok, Bild: Auctionata

Sie stellten die Fliegeruhr „Sturmanskie” sowie eine Modellreihe „Poljot” her, was soviel wie Flug bedeutet. Die Pobeda Sturmanskie hat eine tragende Bedeutung in der Geschichte der russischen Uhrmacherei. Der Kosmonaut Juri Gagarin trug eine Sturmanskie am Handgelenk, als er als erster Mensch ins Weltall flog. Das Wettrennen im All ist eine andere Ära, die eine wichtige Rolle in der Entwicklung der russischen Uhrenindustrie spielte, denn viele Hersteller ließen sich bei der Namensgebung von den Weltraumprogrammen inspirieren. Die russische Uhrenmanufaktur Vostok zum Beispiel, bekannt für ihre „Komandirskie”, entlieh den Namen von Juri Gagarins Raumschiff „Vostok 1”. Dies zeugt nicht nur von der zweckorientierten Natur der russischen Uhren, sondern verdeutlicht auch den in der Sowjetunion verbreiteten Nationalismus.

Russische Uhren heute

Poljot
Poljot, Bild: Auctionata

Im 21. Jahrhundert eröffnet sich uns ein anderes Bild der russischen Uhrmacherei, wie es nach ein paar Jahrzehnten auch zu erwarten ist. Am deutlichsten sieht man, dass russische Uhrmacher sich nicht mehr allein auf praktische Dinge konzentrieren, sondern ihre eigenen Fähigkeiten für komplizierte Uhren mit ausgetüfteltem Design entwickeln. Jemand, der wie kein anderer für diese Entwicklung steht, ist Konstantin Chaykin. Er produziert wahre Kunstwerke der Haute Horologie für seine Uhrenmanufaktur in Moskau. Eine seiner eindrucksvollsten Kreationen ist bis heute die „Kino-Uhr”, die über ein mechanisches Animationsfenster auf 6 Uhr verfügt — eine absolut großartige und einzigartige Komplikation.

Indes produzieren alteingesessene Hersteller wie Vostok und Sturmanskie weiterhin Toolwatches. Sie halten das Erbe robuster, funktioneller und vor allem erschwinglicher Uhren aufrecht. Zusätzlich haben beide Hersteller mittlerweile bekanntes Terrain verlassen und mit neuen Kollektionen aufgewartet, die sich hauptsächlich auf Chronographen fokussieren.

Die russische Uhrenindustrie hat überlebt, obwohl ihre Zukunft bisweilen doch sehr ungewiss erschien. In dieser Gegend der Welt entwickeln sich die Möglichkeiten ebenso wie das Interesse an feinen Uhren. Wir sind gespannt, was der russische Uhrenmarkt in Zukunft zu bieten hat.


Über den Autor

Isaac Wingold

Isaac ist Fotograf und Autor aus Toronto mit einer Leidenschaft für außergewöhnliche Zeitmesser. Er bereicherte das Chrono24 Magazin von 2016 bis 2017 mit vielen …

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