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Daily Rocker: Vintage-Uhren – stark gebraucht. Kaufen oder nicht?

Von Theodossios Theodoridis
26. August 2020
7 Minuten
Header_Gerockte Vintage Uhren – ZEIGR_2_1

Daily Rocker: Vintage-Uhren – stark gebraucht. Kaufen oder nicht?

So mancher Sammler wird es vielleicht nicht wahrhaben wollen: Aber Uhren sind Gebrauchsgegenstände. Nicht selten sind sie täglich im Einsatz und verbringen mehrere Jahre am Handgelenk ihres Besitzers. Und so sehen sie dann auch aus. Insbesondere dann, wenn es sich um Vintage-Uhren handelt, die aus den 50ern, 60ern oder 70ern stammen. Sie haben einiges erlebt. Vor allem, wenn sie als sogenannte Tool Watches im Einsatz waren. Das Glas hat Kratzer, das Gehäuse einige „Macken“, das Metallband ist mitunter ausgeleiert. Zeiger und Zifferblatt wirken auch nicht mehr ganz taufrisch. Kurzum: So manche Vintage-Uhr sieht ziemlich „gerockt“ aus.

Kommt eine solche Uhr dann zum Verkauf, stellt sich für den interessierten Uhrenfreund die Frage: Kann und soll ich so eine Uhr kaufen? Meist ist sie etwas günstiger zu haben – schließlich befindet sich so ein „Daily Rocker“ alles andere als in einem Top-Zustand. Für Schnäppchenjäger ist das verlockend. Doch worauf sollte man achten?

Im Folgenden also ein paar Tipps zur Orientierung, wie ich „gerockte“ Vintage-Uhren betrachte und einordne:

Zerkratztes Glas – sieht schlimmer aus als es ist

Beginnen wir mit einer guten Nachricht: Ein zerkratztes Glas spielt eine eher untergeordnete Rolle. In Sachen Austausch und Kosten dürfte es die wenigsten Probleme bereiten. Egal, ob Plexi- oder „richtiges“ Glas, in der Regel findet man adäquaten Ersatz. Und es muss aus meiner Sicht nicht immer das teure Originalglas vom Hersteller sein:

Das Angebot im sogenannten „Aftermarket“ ist recht groß und mit ein wenig Geduld und Suchen sollte es klappen, ein Ersatzglas zu einem vernünftigen Preis zu finden. In den meisten Fällen liegt man hier im zweistelligen Bereich – und das Einsetzen beim Uhrmacher kostet auch nicht die Welt. Einzige Ausnahme bilden Gläser, die eine spezielle Form/Wölbung haben oder von innen bedruckt sind – wie zum Beispiel das (Mineral-)Glas der Omega Speedmaster Mark II. Hier muss man tatsächlich mit Preisen über 100 Euro rechnen. Und wer gar nicht fündig wird, der kann sich Gläser anfertigen lassen. Kreisrunde und flache Gläser stellen wirklich kein großes Problem dar – auch finanziell nicht. Natürlich ist ein Saphirglas teurer als ein Mineral- oder Plexiglas. Bei Vintage-Uhren sind die jedoch eher selten anzutreffen. Und wer auf Nummer sicher gehen möchte: Eine schnelle Recherche vorab schadet nie.

Was man beim Kauf einer Vintage-Uhr ebenfalls bedenken sollte: Ein zerkratztes Glas lässt sie mitunter viel gerockter aussehen, als sie es tatsächlich ist. Wer kann, der denkt sich also das beschädigte Glas einfach weg – und bewertet dann die Uhr. Das hat mir schon zu manchem Schnäppchen verholfen.

Das Gehäuse – ohne Ecken und Kanten?

Kratzer, Dellen & Co. – ein Uhrengehäuse bekommt einiges ab. Was geht und was geht nicht? In Kürze: Wenn ein Uhrengehäuse seine ursprüngliche Form durch starke Abnutzung oder zu häufiges Polieren verloren hat bzw. die Kanten und Konturen regelgerecht „rundgelutscht“ sind, dann würde ich eher die Finger davon lassen. Egal wie gut der Preis sein mag. Der Materialverlust ist einfach zu groß und eine klassische Aufarbeitung kaum möglich. Hier hilft im schlimmsten Fall nur noch ein Tauschgehäuse. Ebenfalls schwierig sind in meinen Augen verchromte Gehäuse in schlechtem Zustand oder stark abgenutzte Gold-Gehäuse. Auch hier kann der Materialverlust so groß sein, dass eine Wiederherstellung kaum oder nur schlecht möglich ist.

Schwarze Beschichtungen hingegen, wie zum Beispiel bei der Orfina Porsche Design und manchen alten Sinn-Uhren, lassen sich problemlos erneuern. Die Qualität der damaligen Beschichtungen war alles andere als gut, weswegen sie heute ziemlich „fertig“ aussehen. Aber: Eine neue und widerstandsfähige DLC-Beschichtung (Diamond Like Carbon) schafft hier Abhilfe. Sie kann zwar im Rahmen von ein paar hundert Euro liegen, schützt die Uhr aber vor neuen Kratzern und Abnutzung. Eine Investition, die sich lohnen kann. Zumindest ist das meine positive Erfahrung – mit einer nachträglich geschwärzten Sinn 144.

Was Kratzer und Dellen generell angeht, so gibt es mehr Möglichkeiten als man gemeinhin denken mag. Normale Kratzer lassen sich polieren, tiefe Kratzer und Dellen lassen sich sogar mittels Laser ausbessern.

Man kann einzelne Stellen an einem Gehäuse mit Material regelrecht auffüllen lassen. Das Verfahren nennt sich Laser Welding. Hier habe ich bereits einige schöne und erstaunliche Ergebnisse gesehen. Bei besonders gesuchten Vintage-Uhren kann es sich also durchaus lohnen in eine solche Schönheits-OP zu investieren. Oder man lässt dies im Rahmen einer Revision beim Hersteller machen. Bei manchen ist es inklusive und kann sich – je nach Preispolitik des Herstellers – im Gesamtpaket bzw. zu einem Festpreis durchaus lohnen.

Lünette, Inlay und die verlorene Perle

Bei der (Dreh-)Lünette gilt wie beim Zifferblatt und den Zeigern – je originaler, desto besser. Die Lünette bzw. das Inlay darf ruhig alt und runtergerockt aussehen. Ist es „ergraut“, gilt es sogar als wertsteigernd. Man kann es natürlich gegen eine neues ersetzen, sollte das aber besser nicht bei gesuchten Vintage-Modellen wie zum Beispiel der Rolex Submariner, der Omega Speedmaster & Co in Erwägung ziehen, da dies den Wert der Uhr mindern kann. Und: Der Neu-Alt-Kontrast sieht oft nicht wirklich gut aus. Wenn ein Tausch, dann am besten gegen einen zeitgemäßen und originalen Ersatz. Der kostet natürlich entsprechend.

Worauf man außerdem achten sollte: ob die leuchtende „Perle“ auf 12 Uhr (bzw. 0 Minuten) auf dem Lünetten-Inlay fehlt:

Denn die dürfte als Originalteil (meist Tritium) nur schwer zu finden und zu ersetzen sein. Entweder man lebt mit dem Verlust oder geht auch hier auf die Suche nach einem zeitgemäßen Ersatz-Inlay.

Das Stahl-/Metallband – die alte Leier

Für manche ein wichtiges Thema – für andere nicht. Die einen finden, dass ein Stahl-/Metallband zu bestimmten Vintage-Uhren einfach dazugehört – anderen hingegen ist nur die Uhr selbst (Head) wichtig. Das Band sehen sie gewissermaßen als Beiwerk und als „nice to have“.
Wie auch immer, wer auf ein Metallband wert legt: Die lassen sich recht gut aufarbeiten. Und das gilt auch für den gefürchteten „Stretch“, den man vor allem von manchen Vintage-Rolex und Omegas kennt. Mit rund 200 Euro ist so eine Wiederherstellung vergleichsweise günstig (mehr dazu). Vor allem dann, wenn man dies mit dem Preis eines Original-Ersatzbandes vergleicht. Der liegt meist um ein Vielfaches höher. Ebenfalls sollte man darauf achten, dass das Metallband einer Vintage-Uhr die richtige Länge hat. Denn Ersatzglieder zu finden, kann eine lange Suche und erstaunlich hohe Preise bedeuten – erst recht, wenn es sich um das Edelmetall Gold handelt.

Und wer seine Uhren eh nur an Leder- oder Nato-Bändern trägt, der schlägt bei den entsprechend günstigeren Uhren zu, die irgendein (Nicht-Original-)Band haben und tauscht es nach Belieben aus.

Zifferblatt & Zeiger – besser keine Schönheits-OPs

Kurz und bündig: Das Zifferblatt ist das Gesicht einer (Vintage-)Uhr – hier sollte man keine oder nur sehr wenige Kompromisse eingehen. Das Zifferblatt muss passen. Und es darf ruhig gealtert sein. Es sollte aber keine (allzu großen) Macken haben. Glauben Sie mir, sie werden Ihnen jedes Mal beim Tragen auffallen – und nerven. Zumindest ist das meine Erfahrung.

Etwas „gnädiger“ kann man aus meiner Sicht bei den Zeigern sein. Im Idealfall haben sie denselben Alterungsprozess wie das Zifferblatt durchlebt. Sollten aber mal neue Original-Zeiger (Superluminova) über einem alten Tritium-Blatt ihre Runden drehen, dann ist das auch kein großer Beinbruch. Zumindest für entspannte Vintage-Sammler. In dem Fall sollte man aber der Preis angemessen verhandeln.

Und wovon ich in den meisten Fällen abraten würde: von aufgearbeiteten Zifferblättern. Zum einen kann dies einen erheblichen Wertverlust bedeuten (kein Originalzustand mehr), zum anderen gibt es nur wenige Spezialisten, die das wirklich gut können und behutsam restaurieren. Oder anders gesagt: Ich habe schon zu viele Zifferblätter gesehen, die an misslungene bzw. zu oft durchgeführte Schönheits-OPs erinnern. Man hätte es einfach lassen sollen. Lieber ein ehrliches und in Würde gealtertes Zifferblatt, als ein übertrieben strahlend neues – in einer alten Uhr. So ein gepimptes Zifferblatt fällt in den meisten Fällen einfach nur negativ auf. Erst recht, wenn es in Farben daherkommt, die der Hersteller so nie im Sinn hatte bzw. produziert hat.

Das Werk: Standard – ausnahmsweise mal gut

Kommen wir zum Herzstück jeder Uhr. Natürlich sollte das Werk im Idealfall laufen – und das möglichst genau. Eine Revision darf auch gern erst vor kurzem durchgeführt worden sein. Aber selbst Uhren mit (leicht) defekten Werken können für Schnäppchenjäger interessant sein. Und zwar immer dann, wenn es sich um sogenannte Standardwerke, wie zum Beispiel das Valjoux/ETA 7750 oder 2824-2, handelt. Der Grund: Diese Werke sind derart weit verbreitet und die Ersatzteillage so gut, dass man sich über die Reparaturmöglichkeiten fast keine Gedanken machen muss. Preislich liegen Revisionen dieser Werke in etwa bei 200-300 Euro (ohne Ersatzteile) – zumindest bei freien Uhrmachern. Damit lässt sich schon mal gut rechnen. Und generell sollte man bei zu langem oder unbekanntem Revisionsstand diese Kosten in den Kaufpreis reinrechnen bzw. bei der Preisverhandlung berücksichtigen.

Anders hingehen sieht es bei Werken aus, die sehr alt bzw. selten sind und/oder viele Komplikationen haben. Hier hilft nur: Recherche, Recherche, Recherche, um wirklich einschätzen zu können, ob sich eine Reparatur lohnt bzw. überhaupt möglich ist. Und generell sollte man die Finger von Uhren lassen, die einen deutlich sichtbaren Wasserschaden inklusive Rost haben.

Soweit also die einzelnen Punkte, auf die ich beim Kauf einer (gerockten) Vintage-Uhr achte. Ich hoffe, dass sie bei der zukünftigen Suche helfen und ein wenig Orientierung bieten. Leider gibt es keine allgemeingültige Faustformel, die sich auf jede Uhr anwenden lässt. Aber es dürfte klar geworden sein, dass beispielsweise der Zustand des Glases eine untergeordnete Rolle spielen sollte, während der Zustand des Zifferblatts, des Werks und des Gehäuses nicht zu verachten sind. Letztendlich muss jeder selbst recherchieren und durchrechnen, welche gerockte Uhr ein Schnäppchen mit Potential ist – und welche eher nicht. Und: Beim geringsten Zweifel oder fehlenden Informationen, lieber Abstand vom Kauf nehmen. Die nächste Vintage-Uhr kommt bestimmt. 

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Über den Autor

Theodossios Theodoridis

Theodossios Theodoridis

Seit den 80er- und 90er-Jahren ist Theo von Uhren begeistert und besitzt bis heute ca. 40 Stück – darunter einige Vintage-Stücke, über die er schreibt.

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