Für ein vorgegebenes, fiktives Budget eine Uhrensammlung zusammenzustellen kann unter den Content Creators der Uhrenszene schon als Volkssport gelten – und nun bin ich an der Reihe. Dabei werde ich mich, sofern möglich, bei noch produzierten oder neu verfügbaren Uhren auf Chrono24-Preise für neue und ungetragene Modelle beziehen. Da ich für meine Vorliebe für Marken bekannt bin, die nicht gerade an der Spitze der Branche stehen, bin ich vorsichtig optimistisch, Sie mit meiner Zusammenstellung zu überraschen. Kaufentscheidungen treffe ich, ob hypothetisch oder real, auf Basis von Uhrwerk und gebotener Technologie, möglichst unabhängig von Hype oder potenzieller Wertentwicklung der Modelle.
Der Desk Diver für den Alltag: Titoni Seascoper 600 Ref. 83600 S-BE-255
Ich spreche sicher für einen großen Teil der Leserschaft, wenn ich sage, dass Taucheruhren zu den vielseitigsten Zeitmessern im Alltag zählen. Als solche finden sie wohl öfter ihren Weg ans Handgelenk als klassische Dresswatches. Um den vakanten Platz der Taucheruhr in dieser Liste zu besetzen, sollte diese aus meiner Sicht einige grundlegende Kriterien erfüllen: Unverzichtbar ist für mich eine Drehlünette aus Keramik mit präziser Haptik, eine überdurchschnittliche Gangreserve, eine massive Schließe mit Feinverstellung sowie eine Schraubkrone. Im besten Fall zählt noch ein Sichtboden dazu, durch den man das Werk begutachten kann. Und ja, mir ist bewusst, dass dies bei Taucheruhren als ketzerisch gelten kann.
Meine Wahl fällt auf die Titoni Seascoper 600, die nicht nur sämtliche Kriterien erfüllt, sondern sogar mit dem markenexklusiven Kaliber T10 und einem Neupreis deutlich unter 2.000 EUR auftrumpfen kann. Mit elegant in die Schließe integrierter Feinverstellung, einem Heliumventil und einer Wasserdichtigkeit bis 600 m stellt die Seascoper 600 so manche als „professionell“ vermarktete Taucheruhr in den Schatten.
Rein an den Datenblattwerten gemessen ist dieser Zeitmesser ein wahr gewordener Traum in seinem Preissegment. Getrübt wird dieser Eindruck nur durch den gläsernen Sichtboden, der zwar vorhanden ist, aufgrund seines geringen Durchmessers und mit kitschiger Aufmachung als Bullauge dem Kaliber T10 aber nicht zum angemessenen Auftritt verhilft. Auch das Design könnte man als zu beliebig, das Zifferblatt als überladen mit zu vielen Textfetzen und Schriftarten bezeichnen – ein in der Welt der Taucheruhren nur allzu bekannter Tatbestand.
Wer sich davon nicht abschrecken lässt, bekommt mit der Seascoper 600 eine Taucheruhr, die für das, was sie mitbringt, fast schon absurd günstig ist – und nicht einmal 10 % unseres fiktiven Budgets verbraucht.
Eine, oder lieber gleich zwei Dresswatches: Grand Seiko SLGH005 und SBGA373
Als langjähriger Grand Seiko-Fan besteht für mich kein Zweifel, dass ein ordentlicher Teil des Budgets für die immer beliebtere Marke aus Japan vorzusehen ist. Seit der Vorstellung der neuen Generation mechanischer Kaliber 9SA, fällt mir die Entscheidung zwischen Mechanik und Spring Drive deutlich schwerer. Mit dem Kaliber 9SA5 hat Grand Seiko nicht nur hinsichtlich der Optik des Werks gegenüber der Schweizer Konkurrenz aufgeholt, sondern auch technisch einen gewaltigen Sprung nach vorne gewagt. Als „Hi-Beat“-Werk mit 5 Hertz Taktfrequenz, was zunächst nach Energiehunger schreit, kitzelt es ganze 80 Stunden Gangreserve aus zwei Federhäusern. Dafür zeichnet sich auch die effiziente, reibungsarme Doppelimpuls-Hemmung verantwortlich.
Mit all diesen Innovationen geht auch eine spürbare, aber gerechtfertigte Preissteigerung gegenüber Uhren mit dem älteren, mechanischen Grand Seiko-Automatikwerk, dem 9S65, einher.
Treiber für meine Entscheidung ist hier an erster Stelle das Uhrwerk 9SA5 – das Design der Uhr muss nur ausreichend gefällig sein, was trotz der bisher überschaubaren Kollektion Evolution 9 von Grand Seiko gewährleistet ist. Dabei sagt mir die vielbeachtete SLGH005, besser bekannt als „White Birch“, am meisten zu.
Sie erzielt bei Chrono24 in Deutschland etwa 7.500 EUR – 25 % Ersparnis gegenüber Listenpreis. In Japan geht es bereits bei 5000 EUR los, wobei wir nach Einfuhr bei etwas über 6000 EUR lägen.
Da auch auf eine Grand Seiko Spring Drive unmöglich verzichtet werden kann, fällt meine Wahl hierbei auf meine geliebte SBGA373, die mit dem ikonischen 44GS-Gehäuse mit seinen klaren Kanten und dem Spring Drive-Werk 9R65 der letzten Generation versehen ist. Neu geht diese Uhr bei Chrono24 für etwa 4.400 EUR über den Tisch, wenn ich die günstigen Angebote innerhalb Japans ausklammere, was in einem Gesamtpreis inklusive Einfuhr und Lieferung unter 4.000 EUR resultieren würde.
Macht 10.000 – 12.000 EUR, also etwa 50 % des Budgets, für Grand Seiko.
Weil sie einfach toll ist: Jaeger-LeCoultre Geophysic True Second Q8018420
Die 2015 vorgestellte Geophysic-Kollektion von Jaeger-LeCoultre wurde nur vier Jahre nach ihrer Vorstellung und somit innerhalb einer fast lachhaft kurzen Zeit eingestellt – gemessen an der Beständigkeit, für die Uhren eigentlich stehen. Wie man meinen älteren Artikeln entnehmen kann, war ich von Anfang an ein großer Fan dieser Uhr. Das schlichte Modell mit dem Kaliber 770 wartete mit der aerodynamisch optimierten, ankerförmigen Unruh „Gyrolab“ und der außergewöhnlichen Komplikation einer springenden Sekunde auf, was dem Modell den Namen stiftete.
Kurz nach der frühzeitigen Einstellung dieser von Kritikern gelobten, aber von potenziellen Käufern weitgehend mit Ignoranz bestraften Kollektion, diskutierten Enthusiasten, ob hier mit einem künftigen Sammlerstück und steigenden Preisen zu rechnen sei. Derzeit sieht es keinesfalls danach aus, und so sind die Edelstahlvarianten der Geophysic True Second für unter 6.000 EUR zu haben, was grob 60 % des Listenpreises zur Einführung 2015 entspricht. Ein fairer Deal für eine unterschätzte Uhr!
Wenn Chronograph, dann mit zusätzlicher Komplikation: Hanhart 417 ES Flyback Reverse Panda 42 mm
Angesichts der Fülle an erschwinglichen mechanischen Chronographen fällt eine Auswahl ohne bestimmte einschränkende Kriterien nicht einfach. Meine persönlichen Kriterien sind dabei Folgende: Zunächst sollte das Werk kein unmodifiziertes Valjoux 7750, 7753, Sellita SW510 oder ein anderweitiges „Allerweltswerk“ sein. Das gleiche gilt für modulare Chronographen, etwa auf ETA 2894-Basis.
Weiterhin sollte es sich nicht um einen simplen Chronographen handeln, sondern er sollte über eine Flyback- oder Schleppzeigerfunktion verfügen. Im besten Fall kommen noch Sichtboden und ein Schaltrad hinzu, um das Kaliber bei der Arbeit beobachten zu können.
Sind all diese Kästchen abgehakt, sollte auch noch das Design der gesamten Uhr zusagen, und so bin ich schließlich bei der Hanhart 417 ES Flyback in 42 mm gelandet. Mit dem seltenen Sellita AMT 5100 M verfügt dieses Modell gegenüber dem Sellita SW 510 M noch über eine Flyback Funktion, wobei der Neupreis auf Chrono24 mit 2.200 EUR mehr als fair ausfällt.
Oris Calibre 400 in einer ansprechenden Verpackung: Oris ProPilot X Laser
Es bleiben noch etwa 2.000 bis 4.000 EUR übrig. In dieser Preisregion fällt mir unweigerlich ein Hersteller und eine Innovation ein, die ich liebend gerne der Sammlung hinzufügen würde: Das Calibre 400 von Oris mit seinen 120 Stunden Gangreserve und 10 Jahren Garantie. Bewegen wir uns am oberen Ende des Restbudgets, ist sogar die besonders futuristische ProPilot X mit Titangehäuse und -armband drin. Gerne in der Version „Laser“, deren Ziffernblatt seine Optik ebenjener Technologie verdankt.
Damit hätte meine fiktive Sammlung aus sechs Uhren ihr fiktives Budget vortrefflich ausgereizt. Es mag dem einen oder anderen an „Ikonen“ mangeln, doch für mich zählt vorrangig die Vielfalt an interessanten Uhrwerken, die bestenfalls in gelungen gestalteten Uhren eingeschalt sind. Wenn es mich nach ganz bestimmten Designs gelüstet, greife ich durchaus auf günstige Uhren oder Hommagen zurück, die keinen besonderen technischen Ansprüchen genügen müssen.