03.08.2021
 7 Minuten

Die Uhrenindustrie und COVID: Ein Rückblick

Von Balazs Ferenczi
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Uhren-Trends, Daten und COVID: Der Chrono24-Halbjahresbericht

Es ist schwer, das was sich in den letzten sechs Monaten in der Uhrenindustrie getan hat, losgelöst von 2020 und COVID zu betrachten. Bereits vor der Pandemie war aus verschiedenen Gründen absehbar, dass 2020 ein Wendepunkt in der Uhrenindustrie sein würde: Die SIHH wurde erst zur Watches and Wonders und dann, genau wie die Baselworld, auf ein späteres Datum verschoben. Natürlich veränderte sich alles, als sich die Pandemie im Februar weltweit ausbreitete und unser gewohntes Leben zum Stillstand brachte. Die Uhrenindustrie ist nicht für ihre ausgeprägte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bekannt, nicht einmal, wenn es um Kleinigkeiten geht. Allerdings schlief sie in diesem Fall nicht und handelte schnell, um ihre Absätze zu retten. Die Marken mussten sicherstellen, dass ausreichend Ware für den Online-Handel zur Verfügung stand. Die meisten Unternehmen erfuhren, genau wie Chrono24, anfänglich einen Rückgang der Verkaufszahlen, auf den aber ein schneller Anstieg folgte. Lag dies daran, dass konventionelle Fachgeschäfte schließen mussten oder suchten die Menschen nur nach neuen Investitionsmöglichkeiten? Das ist schwer zu sagen. Sicher ist jedoch: Die Uhrenwelt musste sich digitalisieren, um ihren Untergang zu vermeiden — und zwar schnell.  

Anfang 2021 hatten wir bereits mehrere Wellen der Pandemie überstanden und einige Online-Events verschiedener Marken hinter uns gebracht. Ich muss gestehen, dass mir als Journalist diese Veranstaltungen keinen Spaß gemacht haben, weil es mir an menschlicher Interaktion fehlte und ich die neuen Modelle gerne angefasst und angelegt hätte. Dennoch haben die Marken alles in ihrer Macht Stehende unternommen, um ihre Online-Events so angenehm und informativ wie möglich zu gestalten – davor ziehe ich meinen Hut. Die Branche brauchte eine Weile, um sich an dieses neue Leben zu gewöhnen, aber Anfang 2021 konnten wir langsam aber sicher das Licht am Ende des Tunnels sehen. Gerüchte über Live-Events in der zweiten Jahreshälfte machten die Runde und die Marken begannen ihre Zoom-Calls mit „Bis bald in der echten Welt“ zu beenden. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 lag der Fokus jedoch auf der Online-Version der Watches & Wonders im April. Sie war nicht nur viel besser organisiert als die provisorische Lösung des Vorjahres, sie konnte auch eine Reihe klangvoller Marken vorweisen. Die Watches & Wonders (früher SIHH) war traditionell ein Event der Richemont Group mit einigen wenigen zusätzlichen Marken wie AP, Richard Mille, H. Moser & Cie., MB&F, HYT und anderen. Weder AP noch Richard Mille nahmen dieses Jahr teil, aber einige Schwergewichte wie Rolex, Tudor und Patek Philippe waren dabei.  

Rolex nahm erstmals an der Watches & Wonders teil.
Rolex nahm erstmals an der Watches & Wonders teil.

Uhrentrends: Farben und Materialien

Bevor wir uns die Chrono24-Daten anschauen, möchte ich gerne ein häufiges Missverständnis über die in diesem Jahr neuveröffentlichten Uhren ansprechen. Unabhängig davon, ob Sie diese gut oder schlecht finden, wurde keine davon als Antwort auf COVID entwickelt. Alle Neuerscheinungen dieses Jahres waren bereits seit Jahren in der Planung. Jeder der sagt, dass die neuen Modelle langweilig sind, weil die Marken während der Pandemie nicht die notwendigen Ressourcen hatten, um bessere Modelle zu designen oder zu produzieren, liegt falsch. Nachdem wir das geklärt haben, schauen wir uns nun einige der Highlights der diesjährigen Neuerscheinungen an. Zuallererst spielte Farbe eine große Rolle. Die Baum et Mercier Riviera war mit ihren erfrischenden blauen Zifferblättern ein großer Erfolg. Das gilt ebenso für die Uhren der Oris Diver Sixty-Five Cotton Candy Kollektion. Mosers neue Mega Cool Kollektion brachte uns im düsteren April Sommer-Vibes und TAG Heuer beantwortete mit den neuen Aquaracer Modelle die Frage nach den passenden Stranduhren für dieses Jahr. Natürlich müssen wir auch die neue Zenith Defy 21 Spectrum Reihe erwähnen. 

In Sachen Farbe ist Grün offiziell das neue Blau. In den vergangenen Jahren war alles blau: blaue Zifferblätter, blaue Armbänder, blaue Akzente. Im Jahre 2021 stellt die Industrie die Zeiger auf Grün – meiner Meinung nach eine deutlich aufregendere und weniger gewöhnliche Farbe. Die meisten oben genannten Marken haben mindestens eine grüne Uhr in ihrem neuen Line-up. Einige Beispiele dafür sind IWCs Pilot’s Watch Chronograph 41, Patek Philippes ikonische 5711/1A und das Zifferblatt mit Palmenmuster der neue Rolex Datejust 36. Speake-Marine folgte dem Trend ebenso mit ihrer Dual-Time Mint und natürlich dürfen wir Tudor nicht vergessen, die ihre Black Bay Fifty-Eight 18k in Gold präsentierten. 

Tudor brachte auch einige Uhren mit neuen Gehäusematerialien auf den Markt. Zuvor verwendete die Marke für ihre Black Bay Kollektion nur Edelstahl und Bronze. 2021 fügten sie der Auswahl noch Gold und Silber hinzu. Wir erwähnten bereits die neuen farbenfrohen Oris Cotton Candy Modelle, die über Nacht zum Hit wurden. Das liegt höchstwahrscheinlich an ihren hellen Zifferblättern, wobei ihre bronzenen Gehäuse und Armbänder zweifellos zu ihrem Reiz beitragen.  

Tudor führte neue Gehäusematerialien ein.
Tudor führte neue Gehäusematerialien ein.

Chrono24-Daten: Rolex fällt, Seiko gewinnt hinzu

Eine der informativsten und spannendsten Listen, die wir uns gerne anschauen, zeigt uns die Marktanteile der verschiedenen Marken auf Chrono24. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 gab es dort keine großen Überraschungen. Mehr als ein Drittel der Marktanteile liegt landesunabhängig bei Rolex. Das ist an sich nichts Neues, aber vergleichen wir die Werte mit der ersten Hälfte des vergangenen Jahres, sehen wir einen Rückgang von 8 %. Das ist zwar kein signifikanter Rückgang, aber dennoch ist Rolex eine von nur drei Marken, die Verluste zu verzeichnen hatten. Bei TAG Heuer sahen wir einen sehr geringen Verlust, wohingegen IWC einen ähnlichen Rückgang zu verzeichnen hatte wie Rolex. Die meisten anderen Marken konnten ihre Marktanteile im ersten Halbjahr 2021 verbessern. Schauen wir uns das einmal genauer an. 

Mit etwas mehr als 10 % ist Omega die Marke mit dem zweitgrößten Marktanteil. Das bedeutet, das Rolex und Omega zusammen beinahe 50 % der Marktanteile auf der Plattform erreichen. Rolex mag zwar unangefochten an der Spitze stehen, Omegas Zahlen sind aber ebenfalls beeindruckend. Die Marke war in Frankreich und Großbritannien sehr erfolgreich. Auch in den USA konnte Omega Erfolge verzeichnen, ließ jedoch in asiatischen Ländern Federn. Besonders in Hongkong und in Japan verlor Omega den Anschluss, aber das waren auch zuvor nicht ihre stärksten Märkte. Trotz der Verluste in Asien hat Omega die Position als Nummer zwei der Welt halten können. Breitling liegt mit der Hälfte der Anteile Omegas auf Platz drei.  

Die Zahlen in den USA sind besonders interessant, da der dortige Markt einer der größten auf der Plattform ist. Neben Rolex fallen die Marktanteile hier auch für das Schwesternunternehmen Tudor sowie für Patek Philippe geringer aus. Tudors Verluste hielten sich in Grenzen, doch Patek fiel um mehr als 10 %. Nur bei wenigen Marken gingen die Marktanteile in Japan zurück, aber viele verloren signifikant in Hongkong. Auf diesem Markt waren Superluxusmarken wie AP, Cartier und Patek Philippe erfolgreich.  

Seikos Beliebtheit in den USA wächst.
Seikos Beliebtheit in den USA wächst.

Cartier war in Frankreich, Großbritannien und den USA erfolgreich, erzielte aber die größten Zugewinne in Deutschland. Gesamtsieger in Sachen Marktanteile – wenn es einen solchen Wettbewerb gäbe – wäre aber Seiko, die in den USA mehr als 40 % hinzugewinnen konnten. Da sich der Marktanteil der japanischen Traditionsmarke jedoch auf relativ niedrigem Niveau bewegte, bleibt selbst nach diesem Wachstum noch Luft nach oben.  

Aus Schwarz mach Grün: Chrono24-User wollen grüne Uhren

Schauen wir uns nun ein paar der beliebtesten Eigenschaften an. Wie zuvor bereits erwähnt, lag der Fokus bei Neuerscheinungen in diesem Jahr auf der Farbe des Zifferblatts. Schwarz ist weiterhin die beliebteste Zifferblattfarbe. Beinahe die Hälfte der verkauften Uhren hatten schwarze Zifferblätter, der Vorsprung schmilzt allerdings. Blau liegt auf Platz zwei, gefolgt von Silber. Weiß, Grau und jedermanns neue Lieblingsfarbe Grün haben ebenfalls aufgeholt, wobei Grün eindeutig als Sieger aus der ersten Jahreshälfte 2021 hervorgeht. Ähnlich wie bei Seiko machten grüne Zifferblätter jedoch vorher einen so geringen Marktanteil aus, dass Grün trotz dieses signifikanten Anstiegs global auf Platz sechs bleibt. Die Trends in den USA stimmen im Allgemeinen mit den weltweiten Zahlen überein – es gibt aber ein paar Ausnahmen. Grün holte dort am meisten auf, gefolgt von Blau und Grau. Weiße Zifferblätter erfreuen sich ebenfalls mehr Beliebtheit. Jede andere Farbe ‒ von Schwarz, Silber, Gold, Champagner, Braun, bis Perlmutt ‒ verzeichnete Verluste. In Japan das gleiche Bild: Alles, was man in Amerika liebt, liebt man in Japan genauso. In Hongkong stiegen die Marktanteile aller Farben außer Schwarz.  

Ein weiterer bereits erwähnter Trend sind die Gehäusematerialien. Hier gibt es keine signifikanten Veränderungen, außer, dass Edelstahl-, zweifarbige und Keramik-Gehäuse weltweit ihr Momentum einbüßen. Bisher sind die Gewinner dieses Jahres Carbon, Platin und Weißgold. Die Zugewinne für Carbon verwundern mich nicht, schließlich sind mittlerweile mehr und mehr Carbon-Uhren auf dem Markt. Denken Sie nur an DOXA. Trotz dieser Zugewinne liegt der Marktanteil von Edelstahl-Gehäusen weiterhin bei über 70 %. Bicolor-Gehäuse liegen mit ca. 7 % auf Platz zwei. Die restlichen 23 % teilen sich die nächsten acht beliebtesten Gehäusematerialien.  

Ist Grün das neue Blau?
Ist Grün das neue Blau?

Die Lieblingsmodelle der Chrono24-User: Gewinner und Verlierer

Es ist wichtig sich beliebte Modelle und Marken anzuschauen und zu verstehen, was mit diesen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres passiert ist. Erst einmal wird deutlich, dass der Marktanteil sich etwas gleichmäßiger auf die verschiedenen Modell-Familien aufteilt. Beispielsweise ist das beliebteste Modell weltweit die Rolex Datejust mit einem Marktanteil von 8 %, gefolgt von der Rolex Submariner und der Omega Seamaster, die beide jeweils bei ca. 5 % liegen. Interessanterweise haben alle drei Verluste zu verzeichnen, am meisten gelitten hat die Sub. Die Speedmaster liegt auf Platz vier, gefolgt von der Daytona (4,75 %). Es gibt zwei eindeutige Gewinner, die im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2020 jeweils ca. 4 % Zugewinne verzeichnen konnten. Es gibt jedoch auch viele, die Verluste verzeichnen mussten, darunter auch viele faszinierende Modelle, wie die GMT-Master II, die Black Bay oder die Navitimer. Tatsächlich büßte die GMT-Master II in diesem Zeitraum am meisten Marktanteil ein. Das Modell verlor in jedem der Länder, die wir untersuchten, Marktanteile. Könnte dies bedeuten, dass die GMT-Master II, einst die heißeste Rolex auf dem Markt, nicht mehr länger zu den beliebtesten Uhren gehört? Beliebte Luxusmodelle wie die Royal Oak holten in Europa und Asien auf, aber verloren Anteile in den USA. Das gilt auch für die Nautilus: extrem beliebt in Europa und Asien, aber der amerikanische Markt hat das Interesse verloren. 

Wir könnten endlos weitermachen und mehr Daten von Chrono24 analysieren, aber wir hoffen, dass dieser Blick hinter die Kulissen Ihnen einige Einblicke in die Uhrenwelt gewähren konnte. Niemand kann die Zukunft vorhersagen, wir können nur spekulieren. Das werden wir jedoch nicht machen. Ich freue mich aber auf das, was die zweite Jahreshälfte 2021 zu bieten hat. Die Uhrenindustrie ist aufregend und stets im Wandel und ich bin mir sicher, dass wir einige überraschende Moves, Gewinne, Verluste und neue Modelle an der Spitze sehen werden. Eines ist sicher: Wir werden hier sein und in sechs Monaten erneut Bericht erstatten! 

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Balazs Ferenczi

Ich interessiere mich schon so lange ich denken kann für Uhren. Eine schöne Uhr sollte meiner Meinung nach der einzige Schmuck sein, den ein Mann trägt. Die Wahl …

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