08.10.2015 | Überarbeitet am: 24.05.2023
 4 Minuten

Was ist die Gangreserve?

Von René Herold
A.-Lange-&-Söhne-Lange-31-2-1

Jeder, der sich näher mit Uhren beschäftigt, ist mit Sicherheit schon einmal über den Begriff Gangreserve gestolpert. Trotzdem haben viele Uhrenliebhaber nur eine vage Vorstellung davon, was damit wirklich gemeint ist – und das, obwohl die Gangreserve ganz praktische Auswirkungen im Alltag eines jeden Uhrenträgers hat. Schauen wir uns die Sache also einmal etwas genauer an.

Tudor North Flag
Tudor North Flag

Was genau bedeutet Gangreserve?

Jede Uhr benötigt Energie, um zu funktionieren. Diese Energie wird in einem Speicher gelagert und von dort schrittweise an das Uhrwerk abgegeben. Bei mechanischen Armband- und Taschenuhren übernimmt diese Aufgabe in der Regel die Aufzugsfeder. Dabei handelt es sich um ein spiralförmig aufgerolltes Metallband, das sich im sogenannten Federhaus befindet. Die Feder wird über die Aufzugskrone gespannt und so mit kinetischer Energie versorgt. Je fester die Feder gespannt wird, desto mehr Energie wird in Ihr gespeichert. Andere Formen eines Energiespeichers bei einer Uhr sind beispielsweise die Batterie einer Quarzuhr oder der mit Gewichten versehene Seilzug einer Standuhr.

Die Gangreserve bezeichnet nun die Zeitspanne, die vergeht, bis ein vollständig geladener Energiespeicher seine Energie komplett abgegeben hat, ohne dass er zwischenzeitlich mit neuer Energie versorgt wurde. Mit anderen Worten: Die Gangreserve ist die Zeit vom Vollaufzug der Feder bis zu dem Moment, in dem die Uhr stehenbleibt. Bei Uhren mit Automatikaufzug ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass sie in dieser Zeit nicht bewegt werden, weil der Aufzugsrotor die Zugfeder sonst bei jeder Bewegung erneut mit Energie versorgt. Ähnliches gilt bei Quarzuhren mit Solarantrieb. Um die Gangreserve einer solchen Uhr zu ermitteln, darf kein Licht auf die Solarzellen fallen, da der Akku der Uhr sonst ständig geladen wird.

Für Sie als Uhrenträger ist die Gangreserve insofern von Bedeutung, als sie Ihnen die Freiheit gibt, Ihre Uhr nicht ständig aufziehen zu müssen. So können Sie Ihren Zeitmesser zum Beispiel übers Wochenende beiseitelegen und er läuft munter weiter.

Wie viel Gangreserve sollte eine Uhr haben?

Bei mechanischen Uhren gilt eine Gangreserve von 38 bis 42 Stunden als Standard. Viele Hersteller haben in den vergangenen Jahren jedoch eifrig daran gearbeitet, diese Werte zu erhöhen. So bringen es die Co-Axial Master Chronometer-Kaliber von Omega auf über 50 Stunden, die aktuellen Werke von Rolex halten sogar 70 Stunden durch. Wem das immer noch nicht genug ist, sollte sich einmal die Panerai Radiomir Otto Giorni näher anschauen. Dieser Uhr geht nach Vollaufzug erst nach acht Tagen die Luft aus. Noch einen drauf setzt die Hublot Big Bang MP-11, die volle zwei Wochen Gangreserve bietet. Absoluter Champion in Sachen Gangreserve ist jedoch die A. Lange & Söhne Lange 31. Sie muss nur alle 31 Tage aufgezogen werden.

A. Lange & Söhne Lange 31
Königin der Gangreserve: A. Lange & Söhne Lange 31

Doch wie sind solch beeindruckende Werte möglich? Nun, im Fall der drei letztgenannten Beispiele haben sich die Hersteller dazu entschieden, die Uhrwerke einfach mit mehreren Federhäusern auszustatten – bei der Panerai und der Lange 31 sind es derer zwei, bei der MP-11 gleich sieben in Serie geschaltete Federhäuser. Die Funktionsweise ist dabei ganz einfach: Neigt sich die Energie der ersten Feder dem Ende entgegen, übernimmt die nächste, noch voll aufgezogene Feder und so fort. Die Gangreserve auf diese Art zu erhöhen hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Aufzugsfedern haben nämlich die Eigenschaft, ihre Energie nicht gleichmäßig abzugeben. Je mehr sich die Feder entspannt, desto weniger Kraft überträgt sie auf das Uhrwerk, was wiederum die Ganggenauigkeit der Uhr beeinflusst. In Reihe geschaltete Federhäuser verstärken diesen Effekt, da jede Feder mit ihrer vollen Kraft beginnt und dann langsam nachlässt.

Rolex geht einen anderen Weg. Die Genfer Manufaktur erreicht ihre erhöhte Gangreserve, indem sie die Effizienz ihrer Kaliber verbessert. Die Chronergy-Hemmung von Rolex weist einen besonders hohen Wirkungsgrad auf, das heißt, es entsteht deutlich weniger Reibung. Die Uhren verbrauchen schlicht weniger Energie. Zusätzlich experimentiert der Hersteller mit der Aufzugsfeder selbst und schaffte es, die Feder aus immer dünnerem Material zu produzieren. Dadurch kann diese deutlich länger werden und so mehr Energie aufnehmen.

Uhren mit Gangreserveanzeige

Die Gangreserveanzeige gehört in der Uhrmacherei zu den kleinen Komplikationen. Wie der Name bereits andeutet, besteht ihre Aufgabe darin, dem Träger einer Uhr anzuzeigen, wann sich die Energie des Zeitmessers dem Ende entgegen neigt. Sie ist also das uhrmacherische Pendant zur Akku-Anzeige bei Handy, Tablet und Co.

Abraham-Louis Breguet war um das Jahr 1800 der erste, der eine solche Anzeige in seinen Uhren unterbrachte. Kurz darauf gehörte diese Komplikation bei Schiffschronometern zur Standardausstattung, da diese auf See auf keinen Fall stehen bleiben durften.

Mit dem Aufkommen der Automatikkaliber Anfang der 1930er-Jahre findet man die Gangreserveanzeige auch immer öfter in Armbanduhren. Die Kunden trauten dem automatischen Aufzug noch nicht über den Weg, weswegen die Hersteller die Anzeige sozusagen zur Beruhigung einbauten. Der erste Hersteller, der eine Gangreserveanzeige serienmäßig in einer Uhr anbot, war 1948 Jaeger-LeCoultre.

Hamilton Jazzmaster Power Reserve Auto mit Gangreserveanzeige
Hamilton Jazzmaster Power Reserve Auto mit Gangreserveanzeige

Heute findet man die Gangreserveanzeige eher selten. Einige bekannte Vertreter sind zum Beispiel die A. Lange & Söhne Zeitwerk, die IWC Big Pilot oder die Hamilton Jazzmaster Power Reserve Auto. Die Anzeige selbst ist in der Regel als dezentrales Hilfszifferblatt mit eigenem Zeiger ausgeführt. Sie erinnert oft an die Tankanzeige in einem Auto. Viele Quarzuhren gehen einen anderen Weg. Sie verzichten meist auf eine dezidierte Anzeige und nutzen einfach den Sekundenzeiger, um das nahende Ende der Batterielebensdauer zu signalisieren. Sinkt die Batterieleistung in einen kritischen Bereich, springt der Sekundenzeiger in 2-Sekunden-Schritten.

Fazit

Die Gangreserve ist von praktischer Bedeutung für jeden Uhrenträger. Je größer die Gangreserve, desto seltener müssen Sie ihre Uhr mit Energie versorgen, sprich aufziehen. Zeitmesser, die extrem lange Zeitspannen ohne Energieversorgung auskommen, bergen allerdings die Gefahr, dass die erhöhte Gangreserve auf Kosten der Ganggenauigkeit geht. Greifen Sie daher am besten zu Uhren im Mittelfeld. Mit einer Gangreserve von 40 bis 80 Stunden sollten Sie auf der sicheren Seite sein.


Über den Autor

René Herold

Mein Name ist René Herold und ich bin durch eine Stellenausschreibung auf Chrono24 aufmerksam geworden. Ich muss ehrlich zugeben, dass Uhren vor meinem Engagement bei …

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