Das Gründungsjahr 1996 weist Parmigiani Fleurier als verhältnismäßig junge Marke in einem sehr alten Industrie- beziehungsweise Handwerkszweig aus. Demgegenüber steht eine technische Kompetenz, die ihresgleichen sucht, sowie ein Netzwerk aus eigenen Zulieferbetrieben, wie es selbst alteingesessene Branchenriesen nicht vorweisen können. Verantwortlich dafür sind maßgeblich zwei Herren: Da wäre zum einen Michel Parmigiani, der Namensgeber der Marke, der sich als Restaurator komplizierter mechanischer Uhren und Automaten einen Namen machte. Indem Parmigiani in unzähligen Arbeitsstunden selbst solche Zeitmesser wieder in Gang brachte, die die Experten von Auktionshäusern als hoffnungslosen Fall einstuften, gewann er das Vertrauen solventer Kunden, die ihn mit der Aufbereitung unersetzlicher Exponate beauftragten.
Der zweite im Bunde war Pierre Landolt, Präsident der Sandoz-Stiftung, hinter der das Vermögen der gleichnamigen Familie steht, aus der der Gründer Edouard Sandoz des gleichnamigen Pharmakonzerns stammt. In den 1980er-Jahren erhielt Parmigiani den Auftrag, sich um das Warten und Erhalten der Sammlung des Sohnes dieses Gründers, Maurice-Yves Sandoz, zu kümmern.
Aus dieser Beziehung erwuchs der Wunsch, auch in das Geschäft mit neuen, eigenen Zeitmessern einzusteigen. Parmigiani hatte die Expertise, und die Sandoz-Stiftung die finanziellen Mittel.
Zunächst verfügte man nicht über die Kapazitäten, auch eigene Uhrwerke zu konstruieren und herzustellen, sodass man auf Werke renommierter kontemporärer oder längst geschlossener Manufakturen aufbaute, beziehungsweise diese veredelte.

Der Pôle Horloger – Die Betriebe der Sandoz-Stiftung
Um die Jahrtausendwende begann ein Prozess der Vertikalisierung der Fertigungskompetenzen, was durch den Zukauf dreier Unternehmen aus der Region initiiert wurde.
Da wäre zum einen die ehemalige Bruno Affolter SA, die heute als Les Artisans Boîtier die Funktion des Gehäuseherstellers für Parmigiani erfüllt, aber auch Aufträge für Dritte bearbeitet, was übrigens für sämtliche Unternehmen gilt, die zum sogenannten „Pôle Horloger“, dem uhrmacherischen Bereich der Sandoz-Stiftung, gehören.
Für einen unterschätzten, da wenig beachteten, aber unersetzlichen Teil der Uhren von Parmigiani (und weiterer Kunden) ist seit 2001 die Firma Elwin zuständig. Elwin ist Spezialist für Präzisionsdrehteile wie Wellen, Schrauben, aber auch für komplexere Komponenten, die ebenfalls zerspanend hergestellt werden, wie beispielsweise Säulenräder. Diese wichtigen Bausteine auf dem Weg hin zu einer hundertprozentigen Manufaktur mögen dem Kunden auf dem ersten Blick keinen greifbaren Mehrwert bieten, aber auch sie müssen konstruiert und gefertigt werden.

Eine der größten Hürden für jene Marken, die die letzten Prozentpunkte bis zur vollständigen Manufaktur erreichen wollen, stellt die Hemmungsbaugruppe einer Uhr dar. Dies umfasst die Fertigung von Unruhen und Ankern, und insbesondere die anspruchsvolle Herstellung von Spiralfedern. Genau das kann die Firma Atokalpa, die komplette Regelorgane mit den genannten Komponenten herstellt und liefert, und seit 2000 zur Gruppe gehört.
2003 entstand mit Vaucher Fleurier – einem eigenen Uhrwerkshersteller mit Engineering- und Fertigungskompetenzen – der wohl prominenteste Betrieb aus dem Sandoz-Portfolio. Auch bei Vaucher gilt das bewährte Prinzip, dass man nicht nur Kaliber für das Haus Parmigiani konzipiert und fertigt. Der Kundenkreis reicht dabei von kleinen, jungen Marken wie Carl Suchy & Söhne bis zum Großabnehmer und Teilhaber Hermès.
2005 wurde unter dem Namen Quadrance & Habillage das bisher jüngste Unternehmen im Bunde lanciert, das, wie der Name schon sagt, Zifferblätter herstellt.
Parmigiani Fleurier heute
Trotz der skizzierten, augenscheinlichen Erfolgsstory wurde die Gewinnzone – so heißt es aus verschiedenen Quellen – erstmals 2022 erreicht, ganze 26 Jahre nach dem Gründungsjahr. Über all diese Jahre wurden die Defizite stiftungsseitig akzeptiert beziehungsweise ausgeglichen, was belegt, dass es sich bei Parmigiani Fleurier um ein echtes Herzensprojekt handelt.
Zwar geistern in den letzten Jahren wiederholt Gerüchte um den angeblich kurz bevorstehenden Verkauf der Marke mitsamt den Zulieferbetrieben durch die Presse, doch allzu große Sorgen sollte man sich um die Marke nicht machen. Abgesehen von den erstmals positiven Ergebnissen, die sich primär auf die Kollektion Tonda PF stützen, welche für über 90 % des Umsatzes verantwortlich ist, sind auch Giganten der Uhrmacherei direkt oder indirekt mit Parmigiani und Vaucher verwoben. Dazu zählen Namen wie Patek Philippe, Audemars Piguet, Richard Mille, Hermès und Chopard – sei es über Beteiligung oder als Kunde. Ob es nun zum Verkauf kommt oder nicht: Die Chance, dass Parmigiani mitsamt seinen Werken und Fertigungskompetenz eingestampft wird, wie es etwa mit Carl F. Bucherer unter Rolex als neuem Eigner geschieht, dürfte gering sein.
Die aktuellen Kollektionen von Parmigiani Fleurier
Als chronologisch erster Kollektion gebührt der Toric die Ehre, zuerst genannt zu werden. Die Kollektion Toric stand (und steht bis heute) für klassisches Design, Einflüsse römischer Architektur und ist bekannt für ihre kannelierten Lünetten. Selbstverständlich ist die aktuelle Interpretation der Toric-Kollektion im Vergleich mit den Modellen aus den Gründungsjahren an den Geschmack der heutigen Kunden angepasst.

Die zweite, aktuell verfügbare Kollektion Tonda PF, die aufgrund ihres Erfolgs zum Standbein des Unternehmens geworden ist und der Marke die besten Jahre beschert hat, basiert auf einer sportlicheren Interpretation der vorherigen Kollektion Tonda. Der anhaltende Trend der Stahl-Sportuhr trägt gewiss seinen Teil dazu bei, dass dieser sportlich-elegante Zeitmesser am integrierten Stahlband derart gut bei seinen Käufern ankommt.
Unter der Bezeichnung Tonda PF Sport pflegt Parmigiani eine noch etwas sportlichere Interpretation der Tonda PF, was unter anderem durch eine gröbere Kannelierung der Lünette erreicht wird.

Sondermodelle mit besonders komplexen Werken und handwerklichen Besonderheiten führt Parmigiani zurzeit unter der Kollektion Objets D’arts, wobei zurzeit lediglich das Modell L’armoriale répétition mystérieuse auf der Unternehmenshomepage vorzufinden ist.
Die Zukunft von Parmigiani Fleurier
Momentan laufen die Geschäfte gut – und mit dem Portfolio an Zulieferbetrieben ist man innerhalb der Uhrenindustrie auch außerhalb der eigenen Unternehmensgruppe fest verankert. Aufgrund der Übernahmegerüchte ist eine sichere Prognose darüber, wie die kommenden Jahre und Jahrzehnte im Hause Parmigiani aussehen könnten jedoch schwierig zu tätigen.
Ungeachtet des erst kürzlich eingetretenen finanziellen Erfolgs bleibt Parmigiani Fleurier tendenziell eine Marke für Enthusiasten, die unabhängige, technisch kompetente und ästhetisch ungewöhnliche Marken abseits des Massengeschmacks schätzen. Für Sammler bieten Modelle aus den frühen Jahren der Marke mit ihren markanten Tonneau-Gehäusen, oder faszinierende Kuriositäten wie die Ovale Pantographe mit ihren Teleskopzeigern interessante Kleinode, die begeistern, aber nach wie vor keine Rekorde auf Auktionen brechen. Mit der Tonda PF ist man wohl anschlussfähiger an aktuelle Geschmäcker, als jemals zuvor in der Firmenhistorie, ohne beliebig geworden zu sein.
