„Man liebt, oder man hasst sie“ – das trifft auf die Marke und die Uhren von Richard Mille definitv zu. Doch gibt es neben Schwarz und Weiß vielleicht auch „Grau“? Nahezu jeder, mit dem ich spreche, hat eine Meinung zu dieser Marke: (Zu) laut, (zu) bunt, (zu) teuer, aber auch innovativ, begehrenswert und erfolgreich sind Schlagwörter, die mir im Zusammenhang mit Richard Mille häufig begegnen. Schlaues Marketing hat die Luxusuhrenmarke ins Gespräch gebracht. Aber wie viel technische Innovation und Charakter stecken hinter dem Hype um die Uhren?
Wer steckt hinter Richard Mille?
Hinter Richard Mille steckt überraschenderweise: Richard Mille. Geboren wurde er 1951 in Draguignan, Frankreich. Zunächst ist er nicht etwa Uhrmacher, sondern im Marketing bzw. Management verschiedener Luxusmarken tätig. Dazu zählte unter anderem das Uhrengeschäft der Firma Martra und deren Marken, wie beispielsweise Yema. Nachdem Martra 1974 von Seiko gekauft wurde, ging Mille 1992 zum Schmuckunternehmen Mauboussin. Im Jahr 1999 entschied er sich schließlich, gemeinsam mit seinem Freund und Geschäftspartner Dominique Guenat, seinerseits Besitzer und CEO der Uhrenmanufaktur Valgine, seine eigene Uhrenmarke zu gründen. Das Unternehmen Guenat S.A. Montres Valgine unterstützt bis heute die Entwicklung, Herstellung sowie den Vertrieb der Uhren von Richard Mille. Es dauerte rund zwei Jahre bis die Marke im Jahr 2001 mit der RM 001 ihre erste Uhr lancierte. Doch dazu später mehr!
Das Unternehmen
Ähnlich komplex wie die Uhren von Richard Mille scheint auch dessen Unternehmensstruktur zu sein. Denn gleich zahlreiche andere Firmen sind am Unternehmen beteiligt und wirken mehr oder weniger stark im operativen Geschäft des Unternehmens mit. Zu nennen wäre neben Guenat S.A. Montres Valgine auch ProArt SA, die bestimmte Teile der Uhr (darunter Gehäuse, Brücken und Drücker) herstellt. Für die meisten Automatik- und Chronographenwerke arbeitet Richard Mille mit Vaucher Manufacture Fleurier zusammen. Spannend ist noch zu wissen, dass auch Audemars Piguet Renaud et Papi in das Unternehmen Richard Mille investiert. Ein Partner, der besonders für die hochkomplexen Werke, wie zum Beispiel die Tourbillons, von großem Vorteil ist. Kurz gesagt: Statt sich eine eigene, kuschlige Manufaktur aufzubauen, wie es in der Schweizer Uhrenindustrie gerne romantisiert wird, setzt man im Hause Richard Mille auf die Zusammenarbeit mit Spezialisten – für viele sicher ein möglicher Angriffspunkt. Doch steckt dahinter eine klare Strategie, die sich durch folgende Vision, zu finden auf der offiziellen Seite von Richard Millle, ausdrückt: „For a long time, I wished to launch my own brand. I wanted to create a new business model, far removed from traditional marketing strategies, something totally original [..]“. Anders sein und das besonere „Business Model“ sind also Kern der Markenidentität. 2018 beschäftigte die Richard Mille Gruppe rund 148 Mitarbeiter und hatte laut verschiedener Quellen, z. B. FHH Journal, im Jahr 2018 einen Umsatz von etwa 300 Millionen CHF eingefahren. Zur Einordnung: Der Umsatz von Audemars Piguet lag im selben Jahr laut Statista bei 937 Millionen USD, was aktuell etwa 915 Millionen CHF entspricht.
Die erste Uhr von Richard Mille
Zwei Jahre nach der Gründung stellte man der Öffentlichkeit die erste Uhr vor – eine Uhr, die direkt zur Markteinführung mit 135.000 USD einen sechsstelligen Listenpreis aufrief. Viel Geld für eine (auf den ersten Blick) Sportuhr mit, man traute seinen Augen kaum, einem „Ding“ auf dem offenen Zifferblatt, das aussah wie ein Tourbillon. Die Begriffe „sportlich“ und „Tourbillon“ in einem Atemzug zur Beschreibung einer Uhr zu nennen, war bis dato äußert ungewöhnlich und hat zurecht Verwunderung hervorgerufen.
Ein Tourbillon ist eigentlich nicht für große Aktivitäten geschaffen. Für die zahlreichen fragilen Einzelteile und das meist hohe Gewicht solcher Uhren, sind zu starke, ruckartige Bewegungen ein echter Stresstest. Der RM 001 ist das ziemlich egal. Das Handaufzugswerk wurde getrennt vom Gehäuse konzipiert und scheint in selbigem ohne jegliche Verbindung zu schweben. Ausgestattet mit einer Brücke aus Carbon und Kohlenstofffasern, ist das Werk absolut schockresistent.
Die RM 001 war unter diesem Aspekt wirklich eine Revolution und selbstverständlich limitiert. Sowohl der Look des futuristischen Tonneaugehäuses mit den acht Schrauben auf der Lünette, als auch das sichtbare Werk, erhielten in den Fachmedien zurecht große Aufmerksamkeit. Richard Mille selbst bezeichnete die Uhr natürlich als „one [of] the greatest revolution of its time in watchmaking history.“
Woher der Hype?
„Richard Mille cost a Lambo“ – das weiß nicht nur der US-Rapper Meek Mill und macht es in seinem Song „Going Bad“ deutlich. Ob man das jetzt gut findet oder nicht – die Marke hat geschafft, wovon andere Marken nur träumen. Sie ist in einigen Kreisen auf dem Weg, „Kult“ zu werden. So kann ich beispielsweise auch ohne offizielle Studie zur Markenbekanntheit sagen, dass sowohl mein 12-jähriger Cousin als auch mein Vater, der absolut nichts mit Uhren zu tun hat, bereits von Richard Mille gehört haben. Meine Google-Suche nach „Richard“ hat folgende Vorschläge ergeben: Richard Mille Preis, Richard Mille Nadal, Richard Mille Drake, Richard Mille Odell Beckham. Interessant sind auch die Länder, in denen am häufigsten gesucht wird: Singapur, die VAE, die Schweiz. Aber schauen wir uns ein paar Aspekte noch einmal etwas genauer an!
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Punkt 1: Der Preis
Die zweite Hälfte des eingangs erwähnten Zitats von Richard Mille liest sich wie folgt: „[…]My goal was to create a new, ultra-high-end luxury segment within the high-end watch business[…].“ Der Preis ist also ein Teil, der die Individualität der Marke ausmacht. Man könnte mutig behaupten, dass Richard Mille, wie einst Audemars Piguet mit der Royal Oak, durch die Preispolitik eine völlig neue Kategorie/einen neuen Markt geschaffen hat. Ein Preissegment, in dem es nur wenig Konkurrenz gibt. Optisch wäre Hublot ein natürlicher Feind von Richard Mille, doch selbst Modelle wie die Big Bang Tourbillon starten (und in diesem Fall muss man das so sagen) BEREITS bei 63.000 USD. Der Preis sorgt also selbst im Luxusuhrensegment dafür, dass der Käufer einer noch kleineren, elitären Gruppe angehört – extremer Luxus, „der geheime Handschlag der Milliardäre“, wenn man so will.
Einher geht der Preis natürlich mit einer geringen Verfügbarkeit. Laut verschiedenen Quellen liegt die jährliche Produktion von Richard Mille bei etwa 5.000 Uhren. Im Vergleich dazu produziert Audemars Piguet im gleichen Zeitraum etwa 31.000 Uhren pro Jahr. Quasi Massenware. Die Einsteiger-Uhr von Richard Mille startet bei etwa 80.000 USD (Listenpreis). Die aktuell teuerste Uhr im Portfolio ist die RM56-02 Sapphire mit einem Listenpreis von etwa 2.000.000 USD. Auch wenn sich die Frage für den gemeinen Richard Mille Käufer eher weniger stellt: Wie sieht es mit der Wertstabilität der Uhren aus? Werfen wir einen Blick auf die zwei, nach Anfragen auf Chrono24, beliebtesten Modelle von Richard Mille im vergangenen Jahr: die RM 011 Felipe Massa und die RM 035 Rafel Nadal. Zumindest diese beiden Uhren haben eine durchaus positive Performance hingelegt und erweisen sich als gute Investition.
Punkt 2: „Partners & Friends“
„A racing machine on the wrist.“ So werden die Uhren von Richard Mille vermarktet. Unverkennbar am Design und der Wahl der Materialen ist der Rennsport die größte Inspiration für Milles Zeitmesser. Passend zum Image betont Richard Mille häufig seine Leidenschaft für den Rennsport und die Ingenieurskunst, die dahintersteckt. Daher erscheint es logisch, dass F1-Pilot Felipe Massa einer der ersten Rennfahrer und Partner war, der mit einer Uhr ausgestattet wurde. Das Besondere? Er trug diese auch während des Rennens – sogar bei seinem Crash im Jahr 2014, bei dem er glücklicherweise unverletzt blieb, trug er die ebenfalls unversehrt gebliebene Uhr am Handgelenk. Heute hat Richard Mille gefühlt die gesamte Formel 1 als Partner. Das Sponsoring des US-Teams „Haas“ war da keine wirkliche Überraschung mehr. Auch im Tennis, mit Raffael Nadal, und im American Football, mit Odell Beckham Jr., blitzen die Uhren immer wieder am Handgelenk auf. Aber wie man prominente Persönlichkeiten für sein Marketing einsetzt, das wissen auch Rolex, Omega und Co. Das smarte daran ist, dass die Uhren während des Rennens und Spiels unter Wettkampfbedingungen getragen werden, was die Robustheit der Uhren unterstreicht glaubwürdiger machen soll. Die kurzfristige Wirkung zeigt sich am Beispiel des Footballstars Odell Beckham Jr., der im September während eines NFL Spiels eine 300.000 USD teure RM 11-03 trug. Die Suchanfragen auf unserem Marktplatz wurden dadurch sichtbar beeinflusst:
Zumindest kurzfristig ist der Hype damit nachweisbar real! Die Liste an prominenten Trägern ist mindestens so lange wie die Nachkommastellen der Listenpreise: Pharrell Williams, Drake, Bubba Watson, Ed Sheeran und Jay-Z, der auf Instagram stolz verkündete, dass alleine die Fertigung des Gehäuses seiner rund 2.5M USD teuren RM 056, 3000 Stunden verschlungen hat.
Die Strategie ist eindeutig und auch Richard Mille selbst tritt oft genug in den Vordergrund, erzählt seine Geschichte als Rebell der Uhrenbranche. Alles in allem ist das Marketing meiner Meinung nach ziemlich stimmig. Uhren dort zu platzieren, wo sie niemand erwartet, und den Preis als starkes Marketingtool zu nutzen. Die Marke schafft es mit uns zu kommunizieren, ohne dabei viele Worte zu benötigen. Die bloße Präsenz der grellen Bänder am Handgelenk der Stars sorgt dafür, dass wir zeitweise die Uhr mit dem Ball verwechseln und nur noch auf das Handgelenk achten. Danach wird gegoogelt, sich über den Preis echauffiert und beim nächsten Treffen mit Freunden darüber gesprochen.
Das Zelebrieren des Luxus trifft gerade bei der jüngeren Generation einen Nerv. 60 % der Suchanfragen nach Richard Mille auf Chrono24 kommen von Personen, die unter 35 Jahre alt sind. Denn Luxus wird aktuell auf Instagram und in anderen sozialen Netzwerken so gerne gezeigt wie lange nicht und auch auf Blogs wie Highsnobiety und Hypebeast, macht sich Richard Mille neben Offwhite Sneakern und Supreme Hoodies weitaus besser als eine Grand Seiko. Sogar Rolex wurde in diesen Kreisen mittlerweile von Marken wie Patek Philippe, Audemars Piguet und Richard Mille abgelöst. Höchstens Iced Out hat eine Rolex noch gewisse Außenseiterchancen.
Heißt das, dass Richard Mille durch cleveres Sponsoring und ordentlich Wirbel auch in den nackten Zahlen den „alten“ Marken den Rang abläuft? Wahrscheinlich nicht. Doch diejenigen, die sich die Uhren leisten können, möchten, dass die breite Masse weiß, was eine Richard Mille wert ist, um sich abzugrenzen.
Punkt 3: Und was ist mit der Technik?
Für den Fall, dass sich der Träger doch dafür rechtfertigen möchte, dass er ein nettes Einfamilienhaus mit Pool am Handgelenk trägt, bietet Richard Mille jede Menge technische und sympathischer klingende Argumente als „Ich hatte das Geld.“ Denn die Uhren haben technisch wirklich viel zu bieten. Nehmen wir beispielsweise die RM 27-03 des Tennis-Stars Rafael Nadal. Bei diesem Model verwendet Richard Mille das so genannte TPT-Carbon, welches aus unzähligen hauchdünnen Schichten Carbonfaser besteht. Den Boden und die Lünette fertigt die Manufaktur hingegen aus TPT-Quartz, bei dem dünne Lagen Quarzkristalle und Kunstharz miteinander verschmolzen werden. Listenpreis? Der knackt fast die 800.000 EUR Marke.
Weiterhin wurde bei der Entwicklung der RM 11-03 laut Richard Mille Designer Fabrice Namura, eng mit McLaren und deren Chefdesginer Rob Melville zusammengearbeitet, um nicht nur eine „gewöhnliche Uhr“ zu erschaffen. Der McLaren Schriftzug auf der Lünette sollte nur der oberflächliche Hinweis auf die Zusammenarbeit sein – dennoch ein sehr schönes Detail, da der Schriftzug den markanten Lufteinlässen des 800 PS starken Wagens P15 „Senna“ gleicht. Die Drücker des Flyback-Chronographen sind aus Titan gefertigt und erinnern an die Lichter des berühmten 720S. Definitv eine Uhr mit „Flex-Faktor“.
Fazit
Ich verstehe, dass man sich an der Marke und dem Auftritt mehr als reiben kann. Anfangs war ich ebenfalls skeptisch, denn sind wir doch einmal ehrlich: Viele von uns üben sich gerne in falscher Bescheidenheit und sind insgeheim doch stolz, wenn uns jemand auf unsere Uhr und möglicherweise auch den Preis anspricht, den wir dafür zahlen mussten. Das könnte jedoch auch ein besonders deutsches Phänomen sein. Ich finde allerdings, dass man wie so oft genauer hinschauen sollte, bevor man sich vorschnell ein Urteil bildet. Der genauere Blick hat mir zeigt, dass man als Marke seine Schwäche (die fehlende Historie und Tradition) in seine größte Stärke verwandeln kann. Richard Mille muss bei großen Veränderungen keine Rücksicht auf eine konservative und alt-eingesessene Community nehmen. Es bleibt der Angriff mit unkonventionellen Entwicklungs-, Design- und Marketingmaßnahmen. Wer sich auf die Fahne schreibt, die Uhrenbranche zu revolutionieren, der muss abliefern. Und ich finde, das tut Richard Mille bisher.
Mögen muss man die Uhren und deren Werte deshalb natürlich nicht. Das Positive an der Aufmerksamkeit für Richard Mille ist, dass sich vielleicht gerade die jüngere Generation wieder mit (mechanischen) Armbanduhren allgemein beschäftigt. Ähnlich wie auch beim Vormarsch der Smartwatches, kann dies positive Auswirkungen auf die gesamte Uhrenbranche haben. Und das finde ich persönlich ziemlich cool!