23.09.2020
 5 Minuten

Ursprung moderner Chronographenwerke: Das Seiko 6139

Von Hirota Masayuki
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Mechanische Chronographen mit Automatikaufzug sind heute in unzähligen Varianten auf dem Markt erhältlich. Omega fertigte bereits 1948 den Prototyp eines solchen Chronographenkalibers. Es kam jedoch nie zur Serienproduktion. Erst Seiko, der Heuer/Breitling/Hamilton-Gruppe sowie Zenith gelang es viele Jahre später, ein solches Werk erfolgreich in Serie zu produzieren. Alle drei Hersteller lancierten im Jahr 1969 fast zeitgleich automatische Chronographen. Seither ist der Chronograph mit Automatikaufzug in der Uhrenindustrie sehr beliebt.

Von den drei Werken ist das Seiko 6139 das wohl am wenigsten bekannte. Allerdings hat es die Geschichte der Uhrenwelt wahrscheinlich am meisten beeinflusst. Seiko verwendet in dem Werk eine vertikale Kupplung und einen kompakt konstruierten Automatikaufzug. Diese Bauweise diente vielen Herstellern in den 1980er-Jahren als Vorbild für die Herstellung ihrer automatischen Chronographen. Sogar das Konzept von Frédéric Piguets 1185, dem Vorfahren des automatischen Chronographen, wurde nach dem Vorbild des Seiko 6139 entworfen. Wenn man bedenkt, dass fast alle Chronographenwerke mit Automatikaufzug mehr oder weniger vom Frédéric Piguet 1185 beeinflusst wurden, kann man sagen, dass das Seiko 6139 einen ziemlich großen Einfluss auf die Entwicklung hatte.

Die Seiko-Gruppe besteht aus mehreren unabhängigen Unternehmen. Eines der wichtigsten ist sicherlich die Uhrenabteilung „Daini Seikōsha“, die später in Seiko Instruments Corportation umbenannt wurde. Im Jahr 2020 übernahm die Seiko Watch Corporation das Unternehmen. Diese Sektion der Seiko-Gruppe ist bis heute für die Herstellung der mechanischen Uhren wie z. B. Grand Seiko zuständig.

Das zweite wichtige Unternehmen ist die Suwa Seikōsha Co. Ltd., das von der „Daini Seikōsha“ als unabhängiges Unternehmen ausgegliedert wurde. In diesem Unternehmenszweig wurde 1960 die erste Grand Seiko produziert. Auch das erste Serienquarzwerk „Astron“ stellte Seiko dort her. Später nutzte Suwa Seikōsha diese Technik erfolgreich für die Produktion von Druckern. Heute firmiert das Unternehmen unter dem Namen Seiko Epson Corporation und hat nicht mehr so starke Verbindung zur Seiko-Gruppe. Doch werden die Spring Drive Kaliber und die präzisen Quarzwerke für Uhren der Kollektionen Credor und Grand Seiko bis heute in Suwa hergestellt.

The Seiko caliber 6139 (without a rotor): This movement was developed using a base caliber from the 61 series.
Das Seiko-Kaliber 6139 ohne den Rotor. Dieses Uhrwerk wurde auf Basis eines Dreizeiger-Werks der 61er-Serie entwickelt. Foto: Yu Mitamura

Auch das Kaliber 6139 stammt aus Suwa. In den 1950er-Jahren verbesserte das Unternehmen seine Herstellungstechnik, sodass die Kompatibilität der Uhrenkomponenten optimiert werden konnte. In den Folgejahren steigerte sich die Produktionsqualität in diesem Bereich deutlich und das Untermehmen konnte im Jahr 1964 das erste japanische Chronographenkaliber Crown Chronograph vorstellen. Das Werk war allerdings nur eine Studie und hatte einen Standardaufbau.

Der Uhrmacher Toshihiko Ohki war maßgeblich für den Erfolg des Crown Chronograph verantwortlich. Nun wurde er damit beauftragt, einen neuartigen Chronographen zu entwickeln. Er konstruierte zunächst das automatische Basisuhrwerk der Serie 61 und ergänzte es später mit einem Chronographenmodul. Das 61er-Werk konnte zu großen Teilen maschinell hergestellt werden und war somit für die Serienproduktion geeignet.

Minuten- und Sekundenrad wurden im Kaliber 61 übereinander gelegt. Auf diese Weise musste der japanische Hersteller weniger Löcher in die Grundplatine stanzen. Das von Ohki erfundene Chronographenwerk hatte zwei übereinanderliegende Räder, über denen eine vertikale Kupplung angebracht war. Diese Konstruktionsweise war vom Getriebe eines Autos inspiriert. Ohki erzählte später: „Es geschah aus der Not heraus. Das Problem war, dass es keine Feder gab, die sich nicht in die Drehrichtung (des Sekundenrades) bog und beim Loslassen entspannte. Aus diesem Grunde habe ich eine spezielle Tellerfeder (für die vertikale Kupplung) entworfen.“

The Seiko 6139 has a vertical clutch, a design that would later influence many other manufacturers.
Das Seiko 6139 verwendet eine vertikale Kupplung. Diese Konstruktion hatte später starken Einfluss auf die Uhrenwelt. Foto: Yu Mitamura
Inside the Seiko 6139: The column wheel is located near the clutch to ensure smooth functioning.
Innenansicht des Kaliber 6139. Das Säulenrad sitzt nah an der Kupplung, um eine sichere Funktion zu gewährleisten. Foto: Yu Mitamura

Die vertikale Kupplung war keine neue Erfindung. Ende der 1880er-Jahre präsentierte Longines einen Chronographen mit einer einfachen vertikalen Kupplung. Pierce lancierte einen Chronographen mit einer simplen vertikalen Kupplung aus Naturkautschuk für eine ihrer Armbanduhren. Die Kupplung von Ohki nutzt zum Ein- und Ausschalten hingegen eine tellerartige Feder. Startet man den Chronographen, fällt der Teller herab und die Kupplung rastet ein. Ausgeschaltet wird der Chronograph, indem der Teller angehoben und von der Kupplung gelöst wird. Hierfür wird ein Element verwendet, das an eine Schere erinnert. Es sitzt nah am Säulenrad, um eine sichere Funktion zu gewährleisten. Diese Bauweise wurde später von vielen anderen Firmen für die Herstellung von Chronographenwerken mit Automatikaufzug aufgegriffen.

Für den automatischen Aufzug verwendete Seiko statt der herkömmlichen Zahnräder einen Hebel, den Magic Lever. Dieser bestand aus extrem wenigen Komponenten, sodass die Produktion trotz der komplizierten Konstruktion relativ einfach war. Außerdem gewährleistete der Magic Lever maximale Effizienz. Beim Aufzug Mit diesem Hebel verschleißt das Automatikwerk nicht so schnell und so konnte Seiko eine effiziente Leistung für einen längeren Zeitraum sichern.

Seiko hatte ursprünglich nicht vor diesen neuartigen Chronographen teuer und kompliziert zu machen. Die Komponenten wurden mit einer Presse ausgestanzt. Sie hatten zudem eine einfache Form, sodass eine hohe Produktionsrate ermöglicht wurde. Um die Herstellung leichter und günstiger zu machen, verzichtete Seiko auf den Sekundenzeiger.

1969 stellte Suwa Seikosha das Kaliber 6139 mit dem Magic Lever und vertikaler Kupplung fertig. Am 21. Mai 1969 präsentierte Seiko dieses Werk unter dem offiziellen Namen „61 Speed-Timer“. Allerdings existierte das Werk bereits seit Januar desselben Jahres und Sie können bis heute Exemplare aus dieser Zeit finden. Die erste Werbung für einen Chronographen mit Automatikaufzug veröffentlichte Seiko im Februar des Jahres. Es scheint, dass Seiko sich nicht darüber bewusst war, dass das 61 Speed-Timer das erste Chronographenkaliber mit Automatikaufzug war. Auch Ohki musste zugeben, dass er nicht gewusst habe, dass seine Erfindung der erste Automatikchronograph der Welt war. Seiko hatte am Jahresende die Präsentation der Quarzuhr „Astron“ geplant und war mit ihrer Entwicklung beschäftigt.

The Seiko 5 Sports SPEEDTIMER: The world's first watch with an automatic chronograph movement debuted in May 1969.
Seiko 5 Sports SPEEDTIMER. Die weltweit erste Uhr mit einem automatischen Chronographenwerk wurde im Mai 1969 veröffentlicht. Foto: Yu Mitamura

Die Preise für Automatik-Chronographen mit 6139 waren zu Beginn noch günstig. Doch entwickelten sie sich bald zu gesuchten Sammlerstücken und die Preise klettern heutzutage dementsprechend stetig in die Höhe. Für Sammler historischer Seikos und Liebhaber von Automatik-Chronographen ist eine Uhr mit einem Seiko 6139 ein absolutes Must-Have.

Was Sie beim Kauf beachten müssen ist die Funktionalität der vertikalen Kupplung. Solange der Chronograph funktioniert ist das 6139 grundsätzlich reparierbar. Noch wichtiger ist der äußere Zustand. Bei vielen Seikos aus dieser Zeit fehlen oft die Außenelemente. Beim Kauf sollten Sie daher Uhren mit möglichst gut erhaltenen Zeigern und Zifferblättern wählen. Der Originalzustand, auf den bei anderen Uhren oft Wert gelegt wird, ist weniger wichtig. Der Grund: Seiko-Uhren aus den 1950er- und 60er-Jahren wurden fast monatlich geändert und erneuert. Am wichtigsten ist also ein guter Zustand.

Das Seiko 6139 mag weniger bekannt sein. Die historische Bedeutung dieses Werks ist jedoch vergleichbar mit dem Longines 13.33Z aus dem Jahr 1910 oder Valjoux 72 aus den 1930er-Jahren sowie dem Venus 185 mit Schleppzeiger-Technik. Sollten Sie eine Uhr mit einem Seiko 6139 auf Chrono24 zu einem guten Preis finden, ist diese definitiv empfehlenswert.

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Über den Autor

Hirota Masayuki

Ich interessiere mich schon seit meiner Jugend für Uhren. Zunächst habe ich als gewöhnlicher Angestellter gearbeitet, doch im Jahr 2004 startete ich …

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