27.03.2020
 6 Minuten

Verborgene Schätze: Vintage-Uhren der 1950er-Jahre

Von Tom Mulraney
Vintage-Uhren-50er

Verborgene Schätze: Vintage-Uhren der 1950er-Jahre

Seit fast einem Jahrzehnt tut sich einiges auf dem Markt der Vintage-Uhren. Einige Modelle erzielen immer neue Höchstpreise. Es gibt aber auch einige verborgene Schätze zu entdecken. Wir werfen einen Blick auf die 1950er-Jahre – ein Jahrzehnt das viele schöne Uhren hervorgebracht hat. Drei davon haben wir ausgewählt und stellen sie Ihnen hier vor.

Verborgene Schätze: Vintage-Uhren der 1950er-Jahre

Spricht man über Vintage-Uhren, so werden die 1960er- und 70er-Jahre oftmals als die goldene Ära des Uhrendesigns bezeichnet. Um die Entwicklung moderner mechanischer Uhren aber wirklich zu verstehen, muss man ein Stück weiter zurückgehen in der Geschichte: in die 1950er Jahre. In diesem Jahrzehnt stand die Weiterentwicklung von Qualität und Präzision mechanischer Uhrwerke im Vordergrund. Begonnen hatte dies bereits im vorangegangenen Jahrzehnt. Denn auch im Zweiten Weltkrieg wurden Armbanduhren getragen und die Notwendigkeit von Robustheit und Zuverlässigkeit wurde offensichtlich. Die vielen Restriktionen der Kriegsjahre, hatten die Möglichkeiten der technischen Weiterentwicklung aber stark eingeschränkt. Das neue Jahrzehnt bot dann mit den Fortschritten, die in der maschinellen Produktion gemacht wurden, die Möglichkeiten, präzisere Komponenten herzustellen als jemals zuvor.

Es war nicht schwierig, das kommerzielle Potenzial der mechanischen Uhren zu dieser Zeit zu erkennen. Alle Schweizer Marken legten ihren Fokus auf die Herstellung extrem akkurater Chronometer-zertifizierter Modelle. Zeitgleich half die Werbung, das Interesse an diesen Uhren zu steigern, indem die Ergebnisse bestimmter Uhren in Chronometer-Tests und unabhängigen Untersuchungen zur Präzision verbreitet wurden. Die Werbetexte fokussierten sich hierbei auf die jeweilige neueste technologische Errungenschaft. Ein großer Unterschied zu den Kampagnen von heute, in denen man vor allem einen Markenbotschafter (meist prominent) mit dem neuesten Modell zeigt und sonst weiter nichts.

Vintage Rolex Explorer 1957
Vintage Rolex Explorer 1957

Damals spielten Markenbotschafter noch keine Rolle – zumindest nicht in der Form, wie wir es heute kennen. Zwar gab es die Stars aus Film und Musik, die wahren Helden jener Zeit – zumindest im Bezug auf die Uhrmacherei – aber waren Entdecker, Wissenschaftler und Erfinder von Errungenschaften, die die Welt veränderten. Das wohl beste Beispiel hierfür war die britische Mount-Everest-Expedition im Jahr 1953. Am 29.Mai 1953 erklommen Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay erstmals in der Geschichte der Menschheit den höchsten Gipfel der Erde.

Gesponsert wurde die Expedition von Rolex. Jeder Teilnehmer des Trecks erhielt eine Oyster Perpetual. Geplant war, dass die Uhren im Anschluss an Rolex zurückgegeben würden, damit das Unternehmen untersuchen konnte, wie das Kaliber auf die extremen Bedingungen reagieren würde. Hillary aber ließ seine Uhr im Base Camp zurück, die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Getragen hat er seine eigene Smiths De Luxe aus England. Norgay hielt sich an die Abmachung und trug auf dem Gipfel die Oyster Perpetual. Am Ende waren diese Details nicht von Belang. Rolex macht bekanntermaßen ein hervorragendes Marketing, und so kennt heutzutage fast jeder die Rolex Explorer, niemand aber die Smiths – abgesehen von den besonders leidenschaftlichen Sammlern. Für Sie bedeutet das nichts Schlechtes: Eine Vintage-Smiths bekommen Sie schon für einen relativ niedrigen Preis.

Vintage Omega Seamaster 1958
Vintage Omega Seamaster 1958

Eine Vielzahl von begehrten Vintage-Uhren stammen aus den 1950er-Jahren. Zu dieser Zeit stellte Rolex die Explorer, die Submariner, die GMT-Master und die Milgauss vor. Von Breitling kam die Navitimer, von Blancpain die Fifty Fathoms. Omega präsentierte die Seamaster, die Speedmaster, die Railmaster und die Constellation. Und das sind nur einige der wichtigen Uhren des Jahrzehnts. Es gibt aber einiges mehr zu entdecken: Weniger bekannte aber fantastische Uhren von Marken, die zu jener Zeit auch zu den Größen der Industrie zählten. Modelle mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis, coolen Designs und spannender Geschichte. Viele dieser Marken mussten in Folge der Quarzkrise der 1970er-Jahre aufgeben. Sie wurden entweder von anderen Marken aufgekauft oder verschwanden komplett.

 Wir stellen Ihnen drei dieser Marken vor, jede von ihnen hat dazu noch eine interessante Geschichte. Gut erhaltene Modelle zu finden ist nicht ganz leicht. Auch wenn sie meist in Massenproduktion hergestellt wurden, so sind dennoch nicht viele der Uhren im Umlauf. Bedenken Sie außerdem, dass die Modelle ihren Ursprung zwar in den 1950ern haben – es gibt aber auch einige interessante Nachfolge-Modelle von ihnen aus späteren Jahrzehnten. 

Vintage Enicar Seapearl 600 1950s
Vintage Enicar Seapearl 600, 1950s

Enicar Seapearl 600

Enicar wurde im Jahr 1914 in La Chaux de Fonds in der Schweiz gegründet und wurde schnell bekannt. Weit verbreitet waren die Uhren vor allem in den östlichen Märkten wie Russland und China. Der ungewöhnliche Markenname geht zurück auf den Gründer Ariste Racine. Sein Nachname rückwärts buchstabiert, betitelte das Unternehmen. Nach Ende des 2. Weltkrieges begann Racine seine eigenen Kaliber zu fertigen. Sein Ziel war es, verlässliche und dabei erschwingliche Tool-Watches herzustellen. In den 1950er- und 60er-Jahren gelang Enicar der Durchbruch. Seine erstes Kaliber ließ er 1954 vom Neuchâtel Observatorium als Chronometer zertifizieren.

Die meisten Sammler interessieren sich vor allem für die Enicar Seapearl 600, und das aus gutem Grund. Wie viele andere Hersteller von Tool-Watches jener Zeit, wollte Enicar seine Uhren bei Entdeckern und Abenteurern populär machen. Im Mai 1956 stattete Enicar eine vom Schweizer Albert Eggler geführte Expedition mit Seapearl-Modellen aus. Ziel der Gruppe war es, den Mount Lhotse und den Mount Everest im Himalaya zu besteigen. Nach erfolgreicher Mission gab Enicar in Anzeigen der Seapearl den Beinamen „Everest Watch“ oder „Sherpa“.

 Der größte Wurf gelang Enicar mit der Seapearl in den Jahren 1958/59. Es ist einer der Gründe dafür, dass das Modell bei Sammlern so beliebt ist. Die Experimental Diving Unit (EDU) der US Navy nahm das Modell mit in eine Versuchsreihe auf – zusammen mit der Rolex Submariner 6538 und der Blancpain Fifty Fathoms MIL-SPEC 1. Die Seapearl 600 wurde zu dem Zeitpunkt bereits (inoffiziell) von vielen Tauchern der Navy getragen, weil sie für einen relativ niedrigen Preis eine ausgezeichnete Performance bot. Und tatsächlich konnte sich die Seapearl laut dem „Evaluation Report 1-59“ gegen die Rolex durchsetzen.

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Nivada Grenchen Antarctic

Die Marke Nivada wurde im 19. Jahrhundert gegründet. Weitreichend bekannt wurde sie nach Ende des 2. Weltkriegs. Auch Nivada hatte sich zum Ziel gesetzt, besonders robuste Tool-Watches für Entdecker zu entwickeln. Der vielleicht schlaueste Marketing-Schachzug des Unternehmens war die Ausstattung der Antarktis-Expedition von Admiral Byrd und der US Navy im Jahr 1957 mit einer eigens hierfür hergestellten Uhr. Der Codename der Expedition lautete Operation Deep Freeze. Sie war Teil einer größeren Initiative mit dem Namen International Geophysical Year (IGY): 40 Nationen, darunter die USA, die Sowjetunion und weite Teile Europas hatten sich zur Aufgabe gemacht, in enger Zusammenarbeit die Pole zu erforschen, die höchsten Berge zu besteigen und die Weltraumforschung voranzubringen.

 Bekanntermaßen wollten zu jener Zeit viele Marken mit Wissenschaft, Abenteuer und Entdeckungen in Verbindung gebracht werden. Demzufolge wollten viele im IGY involviert sein. Das Antarctic Modell von Nivada Grechen war wasserfest, amagnetisch und bekannt dafür, den extremen Bedingungen der Antarktis standhalten zu können. Nicht schlecht für eine Uhr, die mehr nach einer Dress-Watch als nach einer hochprofessionellen Tool-Watch aussieht. Nach erfolgreicher Rückkehr war es nur logisch, dass Nivada Grechen die Rolle ihrer Uhr in der Antarktis-Mission in ihren Kampagnen anpries, was zur Berühmtheit der Marke beitrug.

 Nivada war nicht der einzige Hersteller, der Teil des IGYs war. Bekannt ist zum Beispiel, dass Jaeger-LeCoultre ihren Geophysic Chronometer im Jahr 1958 mit der USS Nautilus auf Reisen unter den Nordpol schickte. Vor einigen Jahren erst ist die Uhr als Wiederauflage erschienen, ihre Beliebtheit bei Sammlern hat nie nachgelassen.

Universal geneve Polerouter 1950s
Universal Genève Polerouter, 1950s

Universal Genève

Heutzutage ist der Name Universal Genève weltbekannt, zumindest in den Kreisen der Uhrensammler. Zum großen Teil verdankt die Marke dies Ben Clymer von Hodinkee, der zu Beginn seiner Tätigkeit ausführlich über die Compax geschrieben hat. Obwohl die meisten der Compax-Modelle extrem teuer sind, so gibt es noch immer die Möglichkeit, eine der Uhren aus der von Gérald Genta entworfenen Kollektion zu bekommen. Schauen Sie sich die Polerouter (früher Polarouter) einmal genauer an. Sie war das erste von Genta designte Modell, erschienen ist sie im Jahr 1954, als Genta gerade mal 23 Jahre alt war.

 SAS (Scandinavian Airlines Systems) beauftragte ihren offiziellen Uhrenpartner Universal Genéve, eine Uhr zu entwickeln, mit der an die Direktflüge von New York und Los Angeles zum Nordpol erinnert werden sollte. Diese Art Flüge hatte keine kommerzielle Airline zuvor realisieren können. Um sie möglich zu machen, entwickelte SAS ein komplett neues Navigationssystem, das trotz der extremen Magnetfelder der Pole funktionierte. Auch die Uhren der Piloten wären vom Magnetismus betroffen gewesen.

 Universal Géneve hatte sich bereits mit ihren amagnetischen Uhren einen Namen gemacht. Fehlte also vor allem noch ein Design, um den Anlass entsprechend zu würdigen. Hier kam Genta ins Spiel: Das runde 34,5-mm-Gehäuse hat gerundete Bombé-Bandanstöße und ein Zifferblatt ohne Datum mit einem inneren Index-Ring. Was die Polerouter jedoch wirklich so berühmt machte, war die Vorstellung des 215 Micro-Rotor-Kalibers im Jahr 1955, eines der ersten seiner Art. Es gibt eine Vielzahl von Varianten der Polerouter – sie ist eine äußerst interessante Option auf ein Modell von dieser historisch bedeutsamen Marke.

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Über den Autor

Tom Mulraney

Ich wuchs in den 1980er- und 90er-Jahren in Australien auf. In der Stadt, in der ich lebte, gab es keine nennenswerte Uhren-Szene. Lediglich ein Händler hatte …

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