17.04.2023
 6 Minuten

Drei französische Uhrenmarken, die Sie kennen sollten

Von Tim Breining
Yema Wristmaster Traveller-2-1

Yema Wristmaster Traveller

Während die Schweiz als das Uhrmacherland schlechthin gilt, lässt sich dies von Frankreich schon lange nicht mehr behaupten. Uhrenmarken von Weltruhm, die in Frankreich zu Hause sind, kann man heute an einer Hand abzählen. Auf die Gefahr hin, dass an dieser Stelle erste Leser den Finger mahnend erheben: Legendäre Marken wie Breguet und Cartier stammen zwar aus Frankreich, die Fertigungszentren und das uhrmacherische Know-how sind heutzutage aber in der Eidgenossenschaft zu verorten.

Seit einigen Jahren ist jedoch zu beobachten, dass zum einen die Sichtbarkeit und zum anderen auch die Fertigungstiefe so mancher französischer Marke zunimmt, die nicht „insgeheim“ in der Schweiz beheimatet ist. Verantwortlich für die verstärkte Sichtbarkeit französischer Zeitmesser sind zweifellos jene jungen Marken, die nah am Kunden – oft im Direktvertrieb – agieren, auf Crowdfunding oder Vorbestellungen setzen und die sozialen Medien gekonnt bespielen.

Um den Part der Fertigungstiefe kümmern sich vornehmlich Firmen, die schon etwas länger am Markt sind, aber zunehmend nach den Sternen greifen und versuchen, den Traum einer vollständig französischen Uhr wahr werden zu lassen.

Einige Paradebeispiele aus beiden Lagern möchten wir Ihnen hier vorstellen.

Baltic

Den Auftakt macht ein wahrer Shooting Star der jüngeren Vergangenheit: Baltic. Die von Vintage-Eindrücken inspirierte Marke aus Paris wurde vom branchenfremden Uhrenenthusiasten Etienne Malec im Jahr 2017 mit 500.000 EUR durch Crowdfunding geboren. Was seitdem mit der Marke passiert ist, kann man nur als spektakulär bezeichnen.

Das Erfolgsrezept von Baltic lässt sich in wenigen Zeilen zusammenfassen. Man bietet Uhren im Design ikonischer, historischer Zeitmesser – oder solche, die Designelemente mehrerer Klassiker aufgreifen. Neben den allseits bekannten und erschwinglichen, aber allgegenwärtigen Werken der Schweizer sowie Japaner setzt Baltic auch auf die Konkurrenz aus China. Das ist an sich nichts Neues, doch die Transparenz und Ehrlichkeit, mit der Baltic hier ans Werk geht, kommt bei der Zielgruppe an. Gerade durch die chinesischen Werke kann Baltic substanziell mehr bieten als die fünfzigste Iteration einer Neo-Vintage-Taucheruhr – was nicht heißen soll, dass die Taucheruhrenlinie Aquascaphe kein Bestseller wäre.

Baltic Bicompax in der Limited Edition für Revolution und The Rake
Baltic Bicompax in der Limited Edition für Revolution und The Rake

Besonders spannend sind jene Modelle von Baltic, die Werke chinesischer Zulieferer verwenden, wie der bereits 2017 eingeführte Chronograph Bicompax. Das wunderschöne Baumuster ST19 basiert auf dem historischen Kaliber Venus 175 der 1940er-Jahre – Design und Produktionsmaschinen verkaufte man vor Jahrzehnten nach Fernost. Einen Handaufzugschronographen mit derart ansprechendem Anblick durch den Gehäuseboden kann kaum ein Konkurrent bieten, schon gar nicht für weit unter 1.000 EUR.

Vorbehalte gegenüber chinesischen Werken mögen weiterhin bestehen, doch auch der letzte große Wurf von 2021 bestätigte die junge Marke in ihrem Kurs. Die sich offenkundig an Designs von Patek Philippe orientierende MR01 imitiert den Look des großen Vorbildes nicht nur auf der Zifferblattseite, sondern dank des Microrotor-Kalibers Hangzhou 5000A auch auf der Rückseite. Zusammen mit dem attraktiven Preis und entsprechendem Hype führte das dazu, dass das Modell in allen drei Farbvarianten in kürzester Zeit ausverkauft war. Es folgten diverse limitierte Editionen und Kooperationen, wobei man auch für die Standardmodelle bis heute am Modell von Vorbestellung und chargenweisem Versand festhält – mit Erfolg.

Die Baltic MR01 in der Trendfarbe Salmon
Die Baltic MR01 in der Trendfarbe Salmon

Die geringe eigene Fertigungstiefe sowie die Abhängigkeit von Fernost-Komponenten lassen Puristen weiterhin die Nase rümpfen. Dennoch: Die einsteigerfreundlichen Preise sowie die Endmontage in Frankreich relativieren diese Tatsachen mindestens in Teilen. Und so leistet Baltic seinen Beitrag dazu, dass Frankreich und seine Uhrenmarken wieder ins Bewusstsein der Enthusiasten rücken.

Yema

Basierend auf den Designs, dem Markenauftritt und der Präsenz bei Kickstarter könnte man Yema schnell für eine von unzähligen Microbrands halten, die aus dem Nichts entstanden sind. Tatsächlich blickt die Marke auf eine über siebzigjährige Historie zurück, die von zahlreichen Besitzerwechseln geprägt war – zeitweise gehörte die Marke sogar zu Seiko.

Die entscheidenden Weichen für die jetzige Marschrichtung der Marke wurden jedoch 2009 gestellt, als Yema von der Montres Ambres SA aus Morteau, dem historischen, uhrmacherischen Zentrum Frankreichs, übernommen wurde. Wenig später ging das Kaliber MBP 1000 an den Start, ein exklusives Werk der Marke, das kein exakter Nachbau bekannter Baumuster war. Zwar stammten die Komponenten nicht aus eigener beziehungsweise französischer Fertigung, doch allein die Tatsache, dass nicht auf ein Standardwerk zurückgegriffen wurde, ist bemerkenswert. Heute bilden die Werke 2000 und 3000 in Drei-Zeiger- sowie GMT-Ausführung den Einstieg in die Kollektion von Yema, wobei die Varianten der Superman mit Sicherheit zu den prominentesten Zeitmessern der Marke gehören. Auch die Modelle Flygraf, Navygraf und Rallygraf sollten im Zusammenhang mit der Marke Erwähnung finden und demonstrieren, dass bei Yema, wie auch bei Baltic, die Popularität des Vintage-Looks ungebrochen bleibt.

Yema Superman 500 GMT
Yema Superman 500 GMT

Auf Yema’s Homepage kann man sich unter der Kategorie „Standard Grade“ davon überzeugen, dass sich die Werke 2000 und 3000 in Sachen technischer Daten keineswegs vor den üblichen Vertretern verstecken brauchen. Seit 2022 gesellte sich unter der Kategorie „Manufacture Grade“ das erste wahrhaft französische Werk CMM.20 hinzu. Dieses beeindruckt nicht nur mit soliden 70 Stunden Gangreserve und einem optisch attraktiven Microrotor, sondern allen voran mit 80 % Komponenten aus französischer Fertigung. Lediglich für hochspezielle Baugruppen wie die Hemmung greift man auf die bewährte Expertise der Schweizer Nachbarn zurück. Entwickelt wurde das CMM.20 von einem eigenen Stab an Uhrmachern und Ingenieuren, die auf jahrzehntelange Erfahrung, unter anderem bei Marken wie Audemars Piguet, zurückblicken.

Gemäß dem aktuellen Trend zur Edelstahl-Sportuhr am Integralband feiert das Kaliber Premiere im Modell Wristmaster, das zuvor nur mit dem Kaliber 2000 erhältlich war.

Die Yema Wristmaster Traveller - bald in der neuen Variante mit Microrotor erhältlich
Die Yema Wristmaster Traveller – bald in der neuen Variante mit Microrotor erhältlich

Die Kickstarter-Kampagne zum Verkauf der ersten, limitierten Exemplare sammelte fast 2,5 Millionen EUR ein, was nicht zuletzt am überaus fairen Preis von 1.500 EUR, der Hälfte des späteren Listenpreises, gelegen haben dürfte. Die Serienversion soll im Oktober 2023 ausgeliefert werden und verspricht, ein neuer Bestseller der Marke sowie ein wegweisender Botschafter der Uhrmacherei mit echter heimischer Fertigungstiefe in Frankreich zu sein.

Pequignet

2004 wollte ein Herr namens Didier Leibundgut dem Mangel an „echten“ französischen Uhren und Uhrwerken den Kampf ansagen. Hierfür verließ er seinen Arbeitgeber Zenith und übernahm die Marke Pequignet aus dem französischen Morteau von ihrem Gründer.

Man investierte in Entwicklung, Maschinen und Ingenieure und präsentierte im Jahr 2010 das Ergebnis: das Calibre Royal, ein elegant gestaltetes Automatikwerk mit ansprechender Finissierung und 88 Stunden Gangautonomie aus einem einzigen, sehr großen Federhaus. Das ungewöhnliche Layout der Totalisatoren sieht eine kleine Sekunde bei fünf und eine Gangreserveanzeige bei 8 Uhr vor. Die Komponenten stammen, wo möglich, von französischen Zulieferern.

Pequignet Rue Royale
Pequignet Rue Royale

Das Marktdebüt des Calibre Royal fiel leider unerfreulich aus: Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten warf man das Kaliber frühzeitig auf den Markt, was zu sehr hohen Retourenquoten mit dem nicht ausgereiften Werk führten. Der erhoffte finanzielle Aufwärtstrend blieb verständlicherweise aus. 2012 folgte die Übernahme durch Privatinvestoren, wobei man nicht in die Gewinnzone zurückfinden konnte. 2017 übernahmen vier Führungskräfte Pequignet. Die bewegte Geschichte schien kein gutes Ende zu nehmen.

2021 aber ließ man seitens Pequignet hochinteressante Neuigkeiten verlauten. Man kündigte das Calibre Initial an, ein zweites Manufakturwerk. Zeitgemäß, aber wesentlich günstiger als das Calibre Royal. Und: Man will mit diesem Werk französische Marken versorgen, die bisher auf Zulieferer aus Japan oder der Schweiz angewiesen waren. Deshalb steckt in diesem Werk so einiges an französischer Wertschöpfung. Praktisch sämtliche Komponenten des Calibre Initial kommen aus einem Umkreis von unter 100 km um das Firmengebäude.

Das Werk selbst ist, anders als das Calibre Royal, optisch eher zurückhaltend gestaltet und weist eine zweckmäßige Oberflächenveredelung auf. 65 Stunden Gangreserve sind kein Rekord, aber bei einer Unruhfrequenz von 4 Hertz bemerkenswert. Das Calibre Initial reiht sich nahtlos in die Reihe an erschwinglichen Kandidaten ein, die angetreten sind, um echte Alternativen zu ETA und Sellita zu bieten, ohne das Konto des Käufers übermäßig zu beanspruchen.

Bleibt abzuwarten, ob der Patriotismus der Käufer im Inland und die Begeisterung der Enthusiasten im Ausland diesmal ausreichen, um Pequignet und die Manufakturwerke der Marke dauerhaft zum Erfolg zu führen.

Ich hoffe, diese kleine Auswahl französischer Marken für jeden Geldbeutel konnte ihnen bewusst machen, dass französische Uhrmacherei alles andere als verschwunden ist. Auch wenn ihre wirtschaftliche Rolle – abgesehen von den formell französischen, tatsächlich aber in der Schweiz agierenden Konzernmarken – noch gering ist: Wer heute eine echte französische Uhr sucht, der wird fündig, sofern er bereit ist, sich etwas umzusehen.


Über den Autor

Tim Breining

Etwa 2014, während meines Ingenieurstudiums, begann ich mich für Uhren zu interessieren. Mit der Zeit wurde aus der anfänglichen Neugier eine Leidenschaft. Da …

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