22.09.2022
 3 Minuten

Das Seiko-Museum in Tokio: Traum aller Uhren-Nerds

Von Thomas Hendricks
Seiko-Museum-Magazin-2-1

Uhrenfans, die das Glück haben, nach Tokio reisen zu können, dürfen sich auf keinen Fall das Seiko Museum in Ginza entgehen lassen. Wir haben unser Abenteuer im Fernen Osten gut überstanden, und es war fantastisch! Jede Menge tolles Essen und super nette Menschen. Wir wurden sogar direkt von der Straße weg eingeladen, in einer japanischen Fernsehsendung aufzutreten. Aber das ist eine andere Geschichte. Heute möchte ich Ihnen von einem der coolsten und uhrentechnisch interessantesten Orte erzählen, die wir während unseres Aufenthalts in Tokio besucht haben: dem Seiko-Museum. 

In dem mehrstöckigen Gebäude wird die facettenreiche Geschichte der großen Uhrenmarke vom Gründungstag bis heute präsentiert. Dank seiner Lage im Viertel Ginza ist es nicht weit zum Seiko Flagship-Store und den anderen Boutiquen, sodass man an einem Nachmittag unglaublich viel erleben kann.

Das Seiko Museum: Geschmolzene Taschenuhren

Das erste, was mir ins Auge fiel, war ein großer Haufen aus geschmolzenen Taschenuhren, der aussieht wie eine Skulptur von Giacometti. Sie wurden nach dem großen Kantō-Erdbeben im Jahr 1923 aus dem Werk von Seikosha geborgen. Eigentlich sind Erdbeben für Japaner nichts Ungewöhnliches. Dass sie dieses als „groß“ bezeichnen, zeigt, welchen Schaden es angerichtet hat.

Die Taschenuhren, die heute zusammengebacken im Seiko Museum liegen, gehörten Kunden und lagen zur Reparatur in der Werkstatt des Uhrenhändlers K. Hattori & Co. Deren Eigentümer, Kintarō Hattori, gründete auch die Uhrenmarke Seikosha, aus der später Seiko wurde. Kintarō erwarb sich das Vertrauen und den Respekt seiner Kunden, indem er jede der beschädigten Taschenuhren durch ein neueres Modell ersetzte. Einen Monat später nahm die Firma K. Hattori & Co. ihren Uhrengroßhandel wieder auf, und Kintarō richtete eine provisorische Werkstatt zur Herstellung von Seikosha-Uhren ein. Etwa ein Jahr später, als die Produktionsanlagen auf Hochtouren liefen und die Presse sein Unternehmen in den höchsten Tönen lobte, brachte Kintarō die erste offizielle Seiko-Armbanduhr auf den Markt.

Gute Geschichten zeigen immer beides, Licht und Schatten. Dieser Haufen geschmolzenes Metall ist quasi ein Symbol dafür, wie Seiko im wahrsten Sinne des Wortes wie Phönix aus der Asche aufstieg und sich zu der starken Marke entwickelte, die wir heute kennen und schätzen.

Originalstücke, die nach dem großen Kantō-Erdbeben aus der Fabrik von Seikosha geborgen wurden.

Wadokei – die japanische Jahreszeitenuhr

Unser geordnetes Kalendersystem mit der immer gleichen Länge von Sekunden, Minuten, Stunden und Tagen erscheint uns selbstverständlich. In Japan wurde das feste 24-Stunden-System relativ spät eingeführt und das Seiko-Museum bietet eine beeindruckende Sammlung von Uhren, die sich stattdessen nach dem japanischen Jahreszeitensystem richten.

Während der Edo-Zeit, bevor Japan 1873 das gregorianische Kalendersystem einführte, wurde die Zeit mit den Wadokei gemessen, traditionellen japanischen Uhren, die auf den Jahreszeiten basierten. Die Mechanik kam zum größten Teil aus Europa, aber die Zeitanzeige selbst war sehr japanisch und sehr kompliziert.

Im Jahreszeitensystem gab es sechs Zeiteinheiten für den Tag und sechs für die Nacht. Diese Einheiten wurden als Toki bezeichnet. Durch den Wechsel der Jahreszeiten änderte sich die Länge der einzelnen Toki ständig, genauso wie die Länge von Tag und Nacht. Und in Japan, wie Fans von Grand Seiko wissen, gibt es viele verschiedene Jahreszeiten (genauer gesagt 24). Entsprechend musste man also bei den Wadokei ständig die Ganggeschwindigkeit und die Position der Zeiger auf dem Zifferblatt anpassen. Kaum zu glauben, wo doch hierzulande vielen Besitzern von mechanischen Uhren schon das morgendliche Aufziehen lästig ist. 

Ist diese Wadokei eine Maschine?

Tolle Vintage-Seiko

Sehenswert sind in jedem Fall auch die verrückten Vintage-Stücke im obersten Stockwerk des Seiko Museums. Hier gibt es einen ganzen Strauß bunter Chronographen und den von Jay Leno so geliebten Kinetic-Chronographen mit seinen vier separaten Zifferblättern. Dazu kommen Uhren mit Godzilla und Ultraman sowie die Seiko TV-Uhr aus dem Jahr 1982, mit deren Minibildschirm man (zumindest ein bisschen) am Handgelenk fernsehen konnte. Diese Technik hat sich zwar nicht wirklich durchgesetzt, aber man kann sie als spannende Zeitkapsel sehen, die einen in die 1980er-Jahre zurückbringt.

Natürlich beherbergt das Museum auch viele Uhren, die Taro Tanakas „Grammatik des Designs“ folgen, mit spitzen Winkeln und klaren Designelementen. Mir persönlich haben es vor allem die vielen anderen, seltsamen Uhren angetan, die all diese Regeln brechen, und das mit Absicht! 


Über den Autor

Thomas Hendricks

In jungen Jahren war ich kein Uhrenfan, aber ein paar Jahre nach meinem Studium habe ich als Autor und Marketing-Spezialist beim Online-Portal Watchonista angefangen. Augenzwinkernd begrüßten mich hier die neuen Kollegen: „Willkommen in der Uhrenwelt, die niemand je wieder verlässt!“ Heute bin ich Privatkundenberater bei Chrono24 und helfe Menschen dabei, die perfekte Uhr für die großen Anlässe ihres Lebens zu finden.

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