11.11.2021
 4 Minuten

Von Krieg und Eleganz: Die Geburt der Cartier Tank

Von Troy Barmore
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Zu behaupten, die Cartier Tank sei eine Ikone der Uhrenwelt, ist eine himmelschreiende Untertreibung. Seit mehr als 100 Jahren ist sie ein fester Bestandteil des Cartier-Katalogs und hat möglicherweise mehr prominente Handgelenke geziert als jeder andere Zeitmesser. Im Laufe der Jahrzehnte war sie Inspirationsquelle für zahllose andere Uhrenmodelle und „Tank“ wurde zu einem umgangssprachlichen Synonym für so ziemlich alle Uhren mit rechteckigen Gehäusen. Doch besteht tatsächlich eine konkrete Verbindung zwischen der Cartier Tank und den Schlachtfeldern und Kämpfen, die ihr Design inspirierten?    

Die Cartier Tank und der Erste Weltkrieg

1917, im vierten Jahr des Ersten Weltkriegs, wurde General John J. Pershing zum Befehlshaber der amerikanischen Expeditionsstreitkräfte (AEF) ernannt. Die AEF-Einheiten waren hauptsächlich an der Westfront im Einsatz, die sich über Luxemburg, Belgien und Frankreich erstreckte. An dieser Front gelang es der AEF schließlich, den grauenvollen Patt in den Schützengräben zu beenden, sodass sie gemeinsam mit Soldaten aus Frankreich, Großbritannien, Australien und Kanada unbehelligt ins Niemandsland vorstoßen konnte.   

General Pershing, Absolvent und späterer Ausbilder der berühmten US-Militärakademie in West Point, hatte bereits eine glänzende Karriere hinter sich, bevor er zum Kommandeur der AEF ernannt wurde. Trotz des Drucks anderer europäischer Militärs, nach deren Wunsch die amerikanischen Streitkräfte die alliierten Einheiten lediglich unterstützen sollten, verfolgte Pershing bei der Ausbildung und dem Einsatz seiner Truppen eine völlig andere Strategie. Zwar wurde er häufig für seine dreisten und oft verlustreichen Frontalangriffe kritisiert, aber es waren Pershings Männer, die letztendlich das Blatt des Krieges wendeten.  

Seine Inspiration für die Cartier Tank erhielt Louis Cartier von Panzern wie dem britischen Mark V.
Seine Inspiration für die Cartier Tank erhielt Louis Cartier von Panzern wie dem britischen Mark V.

Louis Cartier, der Enkel von Louis-François Cartier, überreichte daher inmitten von Kriegswirren und anhaltendem Schlachtenlärm dem frisch ernannten General Pershing seine neu entworfene Uhr – die Cartier Tank. Angeblich wurde Louis Cartier während seines eigenen Einsatzes an der Westfront Zeuge eines wahrlich eindrucksvollen Schauspiels: Er sah, welche verheerende Wirkung Panzer wie der englische Mark IV, Mark V und der Renault FT entfalteten. Was kann es auf einem Schlachtfeld Beängstigenderes geben? Ein Maschinen-Achilles, der ins Niemandsland prescht und den Sieg der Alliierten einleitet während die Soldaten der Mittelmächte dem sicheren Untergang geweiht sind.  

Die Cartier Tank: Die Westfront-Erinnerungen des Louis Cartier

Angeblich war Louis Cartier von der schieren Kraft und Modernität dieser turmhohen Titanen massiv beeindruckt. Nach Paris zurückgekehrt, entwarf er seine Cartier Tank. Die Abdrücke der Panzerketten und die Spuren, die diese Kriegsmaschinen auf dem Schlachtfeld hinterließen, inspirierten ihn. Das rechteckige Zifferblatt wurde von zwei länglichen Stäben umrahmt, deren Enden als Bandanstöße dienten und die Uhr mit dem Lederarmband verbanden. Im Französischen wurden diese auch als „brancards“ bezeichnet.  

Brancard ist jedoch gleichzeitig der französische Begriff für „Bahre“, ein grauenhaft alltäglicher Anblick an der Westfront. Mit diesem Wissen im Hinterkopf erinnert die Cartier Tank automatisch eher an das medizinische Gerät, mit dem die Verwundeten vom Schlachtfeld getragen wurden. Cartier war zweifellos überzeugt, dass eine solche Assoziation für seine Kunden viel zu grausam gewesen wäre. Diese wollten nicht bei jedem Blick aufs Handgelenk an die Schrecken des Krieges erinnert werden.  

Ist die Cartier Tank DIE ultimative Dresswatch?
Ist die Cartier Tank DIE ultimative Dresswatch?

Die Cartier Tank und die Cartier Santos

Bei näherer Betrachtung der tatsächlichen Inspirationsquellen der Cartier Tank wird deutlich, dass ihre Form eine klare Fortsetzung der Designsprache der Cartier Santos darstellt. Diese allererste Armbanduhr hatte Louis Cartier 1904 für seinen Freund, den Flieger Alberto Santos Dumont, kreiert. Das viereckige Zifferblatt blieb, aber die Bandanstöße der Tank wurden verlängert und abgerundet. Auch das Fehlen der Lünette im Industrie-Design und der Schrauben fällt ins Auge. Das Ergebnis ist eine unauffällige Verfeinerung des Designs und eine elegante Evolution von der ursprünglichen Toolwatch hin zu einem etwas anspruchsvolleren Äußeren. Die Tank gleicht einer schneidigen Militäruniform, die, obwohl für das Schlachtfeld gemacht, auch in feiner Gesellschaft gern gesehen ist. 

Dies war die revolutionäre Uhr von General Pershing. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob es sich bei der Tank des Generals um den ursprünglichen Prototypen oder eines der ersten fünf offiziell hergestellten Exemplare handelt. Sicher ist, dass General Pershing die Uhr öffentlich überreicht bekam.  

Ihr einfaches, aber revolutionäres Design machte die Cartier Tank zu einer zeitlosen Ikone der Uhrmacherkunst.

Cartier Tank: Von der Armeeuhr zur Dresswatch-Ikone 

Ironischerweise wird die Cartier Tank mehr als einhundert Jahre später fast automatisch in die Schublade „Dresswatch“ sortiert – also etwas Zierliches und Elegantes für Cocktailpartys oder Segeltörns auf teakgedeckten Jachten in den Sonnenuntergang. Sie zierte die Handgelenke vieler schillernder Persönlichkeiten, von Clark Gable bis Jacqueline Kennedy Onassis. Auch Andy Warhol besaß eine Tank und erklärte, dass er sie nicht trage, weil sie die Zeit anzeigt, sondern weil sie „die Uhr ist, die man tragen muss“. Diese prominenten Fans haben nun so gar nichts mit dem ursprünglichen Träger zu tun – einem der kampferprobtesten Militärs des 20. Jahrhunderts.  

Andererseits wird vielleicht gerade durch diesen Widerspruch die wahre Brillanz des modernen Designs der Cartier Tank deutlich. Sie war Art Decó, bevor es Art Decó gab. Modern, bevor von Moderne die Rede sein konnte: ein Zeitmesser, dem die Zeit nichts anhaben kann. In den 114 Jahren, die seit der Erfindung der Tank vergangen sind, ist sie mit den verschiedenen Launen von Mode und Zeitgeschmack gegangen. So entstanden über ein Dutzend verschiedene Designvarianten und Interpretationen. Und auch wenn ihre heutigen Träger sie niemals als militärisches Gerät betrachten würden, so liegen die Ursprünge eines der wertvollsten und berühmtesten Zeitmesser der Uhrengeschichte in den Schützengräben des „Krieges, der alle Kriege beenden sollte.“ 

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Über den Autor

Troy Barmore

Schon in jungen Jahren war ich ein Uhrenliebhaber. Es begann damit, dass ich einen ganzen Sommer lang nur dafür jobben ging, meinem großen Bruder seinen Chronographen aus dem Hause Girard-Perregaux abzukaufen. Seitdem hat sich mein Geschmack stetig weiterentwickelt und erstreckt sich nun auch auf Vintage-Toolwatches und moderne unabhängige Hersteller.

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