Nicht selten weiß man etwas erst zu schätzen, wenn man keinen Zugang mehr dazu hat. Nach dem Motto: Man will das, was man nicht (mehr) haben kann. Oder glaubt nicht mehr haben zu können. Um diesen Effekt weiß auch die Uhrenindustrie – und macht ihn sich zunutze. Denn abgesehen davon, dass sich das Produktportfolio durch neue technische Entwicklungen oder aufgrund schwacher Verkaufszahlen langfristig ändern muss, wissen die Hersteller natürlich auch um die Aufmerksamkeit, welche die Einstellung eines Modells oder einer ganzen Modellreihe auslösen kann. Nicht selten einhergehend mit einem Beliebtheits- und Preisanstieg dieser Modelle. In dieser Artikelreihe betrachten wir einige Uhren, die seit kurzem auch zum „Club der Eingestellten“ gehören.
Patek Philippe Nautilus 5711
Diese Uhr kann wohl als Präsident dieses Clubs angesehen werden, denn sie ist sicherlich die Begehrteste in dieser Aufzählung. Als Patek Philippe CEO Thierry Stern im Jahr 2021 das Ende der Nautilus 5711/1A-010 und 5711/1A-011 ankündigte, war dies für viele Experten keine Überraschung mehr. Dennoch war die Aufmerksamkeit groß, denn es stellten sich vor allem zwei Fragen: Was sind die Gründe dafür, dass Patek Philippe diese unglaublich nachgefragte, wenngleich kaum zu erwerbende Uhr einstellt? Und was wird der Nachfolger der 40 mm Stahl-Sport-Ikone sein?
Laut Aussage des Unternehmens lag die Entscheidung darin begründet, dass die Uhr nicht an Begehrlichkeit verlieren sollte und man sich als Unternehmen nicht zu stark von einem Modell/einer Referenz abhängig machen möchte. Der Blick der Uhrenkäufer sollte auch auf andere Modellreihen wie die Aquanaut und Varianten der Nautilus fallen – beispielsweise auf die Platin- und Gold-Modelle, deren Rendite zudem größer ist.
Fest steht: Geschadet hat dieser Schritt der Anziehungskraft der Marke Patek Philippe sicher nicht. Wurden bis zum Zeitpunkt der Einstellung bereits Preise jenseits der 60.000 EUR-Marke aufgerufen, so knackten die Preise für die 5711 auf dem Pre-Owned Markt nach Ankündigung schnell die 100.000 EUR. Diese Entwicklung setzte sich bis über 150.000 Euro fort. Seit Januar 2022 ist die Tendenz zwar fallend (wir haben in diesem Artikel darüber berichtet), doch noch immer liegt der Preis bei über 100.000 Euro.
An diesem Beispiel sieht man deutlich, dass es verschiedene Motive und Auswirkungen gibt, wenn ein Uhrenmodell „plötzlich“ eingestellt wird.
Zenith Defy Classic
Zum Club der Uhren, die seit 2021 eingestellt wurden, zählt auch die Zenith Defy Classic. Im April 2022 kündigte Zenith die Einstellung dieser Modellreihe an. Als Grund wurde angeführt, dass die Uhrwerke bzw. Fertigungskapazitäten begrenzt sind und man keine Nicht-In-House-Werke einbauen werde. Kompensiert werden sollte das Wegfallen der Defy Classic durch die Zenith Defy Skyline.
Die 41 mm große Keramikuhr am Kautschukband ist besonders für das Zenith „Elite“ In-House-Werk bekannt, welches mit 28.800 A/h oder 4 Hz schlägt und den Sekundenzeiger so geschmeidig wie kaum eine andere Uhr über das skelettierte Blatt schweben lässt. Zudem sieht die Uhr durch eben dieses skelettierte Zifferblatt und das offengelegte ultraflache Werk futuristisch aus. Doch Ende 2022 ist laut Zenith CEO Julien Tornare Schluss mit dieser Modellreihe. Und der Preis?
Obwohl die Uhr noch nicht eingestellt wurde und der Hype nicht mit dem einer Nautilus zu vergleichen ist, zeigt sich ein Preisanstieg. Zu beachten ist, dass hier vom Preis für Pre-Owned Uhren gesprochen wird und dieser unter dem Listenpreis liegt. Etwas frech formuliert könnte man sagen, dass dieses Modell im Vergleich zu anderen Zenith-Modellen als Pre-Owned Uhr eine positive Entwicklung des Werterhaltes aufweist. Es bleibt spannend, wie sich Nachfrage und Preis nach Einstellung Ende 2022 entwickeln werden.
Tudor North Flag
Eine weitere Uhr, deren Karriere leider beendet wird, ist die Tudor North Flag.
North, was? Ja, North Flag. Eine Uhr, die ich in diese Liste mit aufnehmen möchte, da das Design sogar unter Tudor-Fans kontrovers diskutiert wird. Aus dem Portfolio entfernt, wurde es um die North Flag eher still und leise im Jahr 2021. Im selben Jahr, in dem Tudor beispielsweise die neue Black Bay Chrono, die Black Bay 58 in 18k Gold und die Black Bay 58 in 925 Silver präsentierte. Da stellt sich die Frage: Wie viel Platz ist im Tudor-Portfolio neben den Black Bay Modellen noch? Anscheinend nicht genug für die North Flag. Die Uhr, die 2015 vorgestellt wurde, erhielt das erste Tudor In-House-Kaliber MT5621. Ebenfalls war und ist die North Flag das Tudor-Modell mit integriertem Stahlband. Außerdem besticht sie durch das Layout des Zifferblatts sowie die gelben Details mit einem außergewöhnlichen Vintage-Look, der womöglich für die breitere Masse zu „funky“ war.
Die gute Nachricht? Die North Flag ist nach wie vor recht einfach und zu guten Preisen zu haben. Die Preise für Pre-Owned Modelle stiegen im letzten Jahr zwar gemäß den Marktpreisen etwas an, halten sich aber seitdem recht stabil. Besonders spannend ist auch, dass Tudor mit dem Ranger Release im Jahr 2022 doch zeigt, dass man einem schlichteren Vintage-Modell eine Chance gibt. Die Ranger ist zwar nicht der offiziell kommunizierte direkte Nachfolger der North Flag, doch geht der Charakter und das Marketing (Abenteuer, Schnee, Eis) in eine ähnliche Richtung – nicht zuletzt basierte die North Flag auf der Tudor Ranger II aus den 1970er Jahren.
